Theater heute Januar 2007
Foyer
Äpfel und Birnen
Theatermacher ehren sich selbst: die 1. Verleihung des «Faust»
Aufführungen
Zukunft, die es nie geben wird
Tschechows «Drei Schwestern» zurück an der Berliner Schaubühne und an den Münchner Kammerspielen
Zivilisation ist, wenn man trotzdem lügt
Horváths «Geschichten aus dem Wiener Wald» an der Berliner Volksbühne und in Köln: Albrecht Hirche geht einkaufen, und Christoph Marthaler zelebriert die Wiederholung als Programm
Der richtige Augenblick, bürgerlich zu werden?
Tilmann Köhler hat nicht nur vor zwei Jahren an einem Manifest mitgewirkt, er sorgt auch in Weimar für einiges Aufsehen
Debatte
Das Manifest des Kritikers
Der Theaterkritiker der «Süddeutschen Zeitung», Christopher Schmidt, hat in der Wochenendbeilage vom 11./12. November ein «Manifest» veröffentlicht, in dem er das «deutsche Theater» bezichtigt, «Gefühle verboten» zu haben und dabei «total auf den Hund gekommen» zu sein. Die Generalabrechnung macht sich an häufigem Theaterblutgebrauch etwa bei Jürgen Goschs Düsseldorfer «Macbeth»-Inszenierung fest, prangert «Ekel-Stunts» von Schauspielern am Berliner Maxim Gorki Theater an oder spärlich bekleidete Schauspieler in Nicolas Stemanns Hamburger Jelinek-Uraufführung «Ulrike Maria Stuart».
Besonders der Beruf des Schauspielers sei in Mitleidenschaft gezogen: «Nackt im Regen steht heute nur der deutsche Schauspieler: vollgeschmiert und aus Kübeln übergossen, die Stimme übertönt von Pop-Songs, das Gesicht überschattet von Videoclips, spielt er das Lachhafte der eigenen Trash-Existenz gleich mit.»
Mit rhetorischer Geste fragt Schmidt, ob daran immer noch Hitlers Theaterbegeisterung und Gründgens’ «behexend virtuose Menschendarstellung» schuld seien, die das bürgerliche Einfühlungstheater diskreditiert hätten: «Ist dies der Grund, weshalb der Schauspieler immer noch sühnen muss – weil in ihm ein möglicher Demagoge steckt?»
Die Folgen seien allüberall katastrophal: «Heutige Aufführungen vernichten gerne im großen Stil Zeit und Geld und feiern den wertlosen Augenblick. Materialermüdung, erloschene Lust und Hundehaltertonfall sind seine Wahrzeichen.»
Positionen der Kritik
Mit dem Ereignis auf du und du
In den letzten 15 Jahren hat sich in der Theaterkritik viel getan. Rückblickender Ausblick auf ein «Genre mit Entwicklungspotenzial»
Ausland London
Substanzen aller Art
... sind der Katalysator im Londoner Theaterherbst und den neuen Stücken von Conor McPherson, Mark Ravenhill, Dennis Kelly und Caryl Churchill. Und auch Kevin Spacey spielt einen O’Neill-Trunkenbold.
Starts
Verschwenderische Qualitätsarbeit
Barbara Mundels Intendanz am Theater Freiburg fängt gut an – mit Houellebecq, Kleist und Goethe
99 Prozent Graz
Zwei neue Intendantinnen in Graz: Anna Badora startet am Schauspielhaus, Veronica Kaup-Hasler hat den Steirischen Herbst übernommen
Chronik
Frau als Beute
Euripides «Medea»
Dolmetscher der Gefühle
Haruki Murakami «Afterdark»
Sinn im Überfluss
Goethe «Faust I»
Staffellauf auf Mooslandschaft
Kleist «Das Käthchen von Heilbronn»
Die Einzelne und der Terror
Torsten Buchsteiner «Nordost»
Warner-Brother Kruse
Tennessee Williams «Die Glasmenagerie»
Ethnovati, Girlietochter
Simon Werle «Das Blut des Falken»
Oh mein Papa!
«Last Exit Ithaka», frei nach Homers «Odyssee»
Das Stück
Woyzeck aus Dagenham
Simon Stephens über das Unbehagen an Friedensmärschen, die Seitengassen, die zum Stück führen, die Beschädigungen, die vor der Gewalt liegen, und seine Fragen an eine chaotische Welt
Besser als Bond
Samir inszeniert «Motortown» in Zürich mit echten Einschusslöchern
Daten
Medien/TV
Fetisch bleibt Fetisch
Satire nach dem Untergang: In Dani Levys «Mein Führer» spielt Helge Schneider Adolf Hitler – und Ulrich Mühe dessen Schauspiellehrer
MC Goldküste
Bollywood trifft Zürcher Drogen-Gothic: «Snow White» von Samir kommt in deutsche Programmkinos
The Hope-Business
Das Living Theatre auf DVD: Dirk Szuszies und Karin Kapers Dokumentarfilm «Resist»
Kleine Wolken, typische Scheiße
Ein Hörspiel-Pop-Album entdeckt den Universalkünstler Dieter Roth als Songwriter
Magazin
Unsere Wikipedia-Welt
Die Schriftstellerin Kathrin Röggla denkt über Wissen und Wissensvermittlung nach – aus Anlass des «Schwarzmarkts für nützliches und nicht-nützliches Wissen» im Berliner HAU
Diese Zitrone hat noch viel Kraft
Fremdgehen bereichert: Frank Castorf inszeniert Nelson Rodrigues und Heiner Müller in São Paulo
Vitamin Berlin
Argentinische Dramatiker mit Hang zum Existenziellen und amerikanische Regisseure mit Hang zur Ironie geben New Yorks ermüdeter Bohème-Theaterszene beim P.S. 122-Festival «Buenos Aires in Translation» einen subkulturellen Vitaminschub
Traumpapa Lear
Das «Asia Contemporary Theatre Festival» in Schanghai arbeitet am Glücklichsein