Hübsche Dreckswelten
Was für eine Wiederentdeckung! Hans Henny Jahnns letztes Theaterstück «Der staubige Regenbogen» strotzt nur so vor dystopischen Visionen und visionären Motiven: Es geht um die menschliche Fähigkeit, sich durch Wissenschaft und nukleare Technik selbst auszulöschen, um Fortschritt durch Kolonialismus und Krieg, um medizinische Experimente und künstliche Intelligenz; nebenbei werden Generationenkonflikte und queere Lebensentwürfe verhandelt.
Im Zentrum stehen der Atomphysiker und Vernunftmensch Jakob Chervat und seine Familie; Chervat wird, als er erfährt, dass eine Explosion in seiner Einrichtung 8000 Tote statt der offiziell behaupteten 78 gefordert hat, vom loyalen Wissenschaftler im Dienste des kriegstreiberischen Regenten Sarkis zum Gegner seiner eigenen Forschung; obendrein sind sein Sohn Elia und seine schwangere Frau Jeanne direkt von Strahlungsfolgen betroffen. Ein Wahnsinnsfund also, aber auch: Was für Dialoge, welch verdruckst-schwärmerische Sexualität, was für ein merkwürdiges Frauenbild! Hier sagen Männer zu Männern Sätze wie «Als noch die Schulbank unsere Schenkel drückte, haben wir einander geliebt», und Mütter zu Söhnen «Ich habe Gewalt über mich. Ich habe den Ausweg ...
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Theater heute März 2023
Rubrik: Aufführungen, Seite 19
von Eva Behrendt
Saioa Alvarez Ruiz, 32, sitzt nach 2 Stunden, 40 Minuten Tanzen, Strippen und Schwimmen in «Ophelia’s Got Talent» im Foyer der Berliner Volksbühne und wirkt so energiegeladen, als wäre sie gerade erst aufgestanden.
Anna Fastabend Wie geht es Ihnen, Frau Alvarez?
Saioa Alvarez Ruiz Gut. Ich bin glücklich und wieder warm nach der heißen Dusche, die sehr nötig war.
Diese Frau, Lydia Tár, ist zu gut, zu schön und zu erfolgreich, um ganz wahr sein zu können. Sie hat als Komponistin und Dirigentin Ehre und Ruhm, ist die erste Dirigentin des berühmten Berliner Orchesters und hat nebenbei, als Schülerin Leonard Bernsteins souverän zwischen E und U unterwegs, noch den Grand Slam der Unterhaltung gewonnen, Emmy und Grammy, Oscar und...
Bitte nicht schon wieder politisches Theater, das wird die Welt nicht verbessern», meckert die grazile alte Dame in der ersten Reihe. Es ist Geraldine Chaplin, und es ist die Crème de la crème der römischen Upperclass, die sich auf Senecas Landsitz eingefunden hat, um unter freiem Himmel einer Exklusivvorstellung seines Dramas «Thyestes» beizuwohnen, der...