Trauerrituale
Ein leises Rauschen flutet den Saal, es ist kaum zu hören. Alles fließt. Woher kommen diese sanften, unsichtbaren Wellen? Aus dem planen, grünblauschwarz schimmernden Firmament? Von den elf kalt leuchtenden Röhren, die wie Brennstäbe das minimalistische Bühnenbild durchstechen? Oder von der erhöhten, leicht gekippten Glasscheibe und dem fragilen Stelzensteg, der nach rechts oben ins Off führt? Wasserklang. Er hallt aus einem fernen Nirgendwo. Auch in der Musik, die auf den Wogen blüht.
Ohne Vorspiel wollte Toshio Hosokawa sein Requiem für die Opfer des Tsunamis beginnen lassen, der nach einem schweren Seebeben im März 2011 die Nordostküste Japans verwüstete. Mit zwei großen Trommeln, vier Bongos, einem Gong – in zweifachem Piano. Und den in Sekundabständen gestaffelten Violinen. Wie Seegras gleiten sie auf dem zugespielten «ocean sound». Bald schwimmen eine Harfe, vier Hörner und die tiefen Streicher mit. Dann die Holzbläser, drei Posaunen und eine Tuba. Ein irisierendes Geflecht, schwerelos driftend, eins mit dem ungreifbaren Element, das es umfängt.
Ein dumpfes Grollen füllt den Raum, schwillt an bis zu einem donnernden Fortissimo. Es dringt aus dem Graben. Vier Schlagzeuger tun ...
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Opernwelt März 2016
Rubrik: Im Focus, Seite 12
von Albrecht Thiemann
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Eigentlich ist diese DVD nicht rezensierbar. Denn der für die Bildregie verantwortliche Tiziano Manchini und sein Team haben die Aufführung des Dresdner «Freischütz» nicht in den Griff bekommen. Genauer: Sie sind an ihrem Dunkel gescheitert. Von der Wolfsschlucht sieht man so gut wie gar nichts, auch die anderen Szenen versacken. Zudem war die Kameraaufstellung...
Dass Frankfurter Künstler wie die Altistin Katharina Magiera und der Gitarrist Christopher Brandt sich um den Genius Loci bemühen, überrascht nicht. Doch haben die beiden abseits des viel begangenen Weges nach seltenen Goethe-Vertonungen gesucht; auch bei den Großen der Liedkomposition wie Mendelssohn, Schumann und Wolf (wobei bei den beiden Ersteren Lieder nach...