Drastisches Kammerspiel
Katerina Ismailowa ist Täterin und Opfer zugleich, Mörderin wie Beute eines liebund mitleidlosen Systems vulgärkapitalistischer Machos. Das rüde Sein bestimmt das brutale Bewusstsein. Zur Revolutionärin aber taugt Katerina nicht. Pure Langeweile treibt sie an, sich über die Leiche des herrschsüchtig-geilen Schwiegervaters hinweg das Minimum an Zuwendung zu verschaffen. Weil sie die Männer ihrer Umgebung nur allzu gut kennt (und entsprechend wenig von ihnen erhofft), beschränkt sie ihre Bedürfnisse auf kaum mehr denn ausschweifende Sexualität.
Der virile Frauenheld Sergej kann immerhin diesen Wunsch erfüllen.
Dass mehr vom Leben zu fordern Traumtänzerei wäre, zeigt Joan Anton Rechi in Detmold bedrückend deutlich. Der Regisser nutzt die intime Atmosphäre des Hauses, um dem Publikum beinahe buchstäblich auf den Leib zu rücken. Schostakowitschs Oper gerät so zum gewaltgesättigten Kammerspiel: Es wird kopuliert und gemordet, was das Zeug hält. Kein Wunder, die tragische Titelheldin und ihr Liebhaber stehen unter enormem erotischen wie gesellschaftlichem Druck, und der sucht sich sein Ventil. Zwar drückt die Obrigkeit anfangs ein Auge zu; selbst der Pfarrer ist scharf auf die ...
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Opernwelt Mai 2023
Rubrik: Panorama, Seite 57
von Michael Kaminski
Der in Rouen ansässige Kammerchor Accentus und sein Dirigent Christophe Grapperon rücken mit dieser faszinierenden Aufnahme schiefe Perspektiven zurecht. Wie in Deutschland die Symphonik, so gilt im Frankreich des 19. Jahrhunderts die Oper als zentrale Gattung der Musik. In Wirklichkeit war diese Zeit in beiden Ländern schlechthin das Jahrhundert der Chormusik. Das...
Opern als akustisches Theater, als «theatre of the mind», wie es einst die Schallplatten-Produzenten Walter Legge und John Culshaw (von dem das Zitat stammt) verwirklichten, gehören schon lange der Vergangenheit an, weil sie nicht mehr finanzierbar sind. Dass Warner sich jetzt den Luxus leistete, Giacomo Puccinis «Turandot» im Februar 2022 an neun Tagen in Rom vor...
Der Staatsoper Berlin kann man regieseitig in Sachen Mozart für das vergangene Jahrzehnt nicht gerade ein brillantes Zeugnis ausstellen. Angefangen von einer der schwächsten Arbeiten des späten Hans Neuenfels («La finta giardiniera», 2012) – damals noch in der Ausweichspielstätte Schiller-Theater – zog sich das optische, bewegungsmäßige und konzeptuelle Unglück...