Verführerische Gewaltspiralen
Auf der Bühne stehen schwarze Stühle, auf die sich beim Einlass nach und nach Personen in schicker blaugrüner Abendkleidung setzen, elegant ihre Beine übereinanderschlagen, den Blick ins Publikum gerichtet. Doch über ihren Köpfen tragen sie weiße Stoffmasken, über ihren Körpern weiße Anzüge wie eine zweite Haut: Es ist eine anonyme, gespenstische Versammlung, die den Zuschauer:innen gegenübertritt.
Wenig später wird diese schicke Abendgesellschaft vollkommen entgleisen, in einer Orgie aus Sex und Gewalt werden hier Blow-Jobs verteilt und dort Menschen mit Stühlen attackiert – allerdings in Zeitlupe, stilisiert, und, entgegen des Stücktitels, gerade nicht emotional.
In dieser Spielzeit kooperieren zwei Kulturinstitutionen Frankfurts erstmals miteinander, die Dresden Frankfurt Dance Company und das Schauspiel. Im Dezember zeigte Jacopo Godani, Künstlerischer Leiter der Dresden Frankfurt Dance Company, erstmals im Schauspielhaus einige seiner Stücke. Nun folgt eine Auftragsarbeit des Schauspiels: «10 Odd Emotions», «Zehn seltsame Gefühle». In dieser Inszenierung der israelstämmigen Choreografin Saar Magal stehen sowohl Tänzer:innen als auch Schauspieler:innen auf der Bühne, um sich, ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
- Alle Theater-heute-Artikel online lesen
- Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen
Theater heute 4 2023
Rubrik: Chronik, Seite 58
von Esther Boldt
Das sieht alles sehr grau aus: Die Gegenstände, die akkurat geordnet an der Wand kleben – alle grau übermalt. Die Lampen, die Teddies, die Tassen, die Teller, die Telefone. Auch die drei Frauen: graue Haare, graue Kleider. Eine (Elmira Bahrami) leiert zunächst ihre Sätze, das betont das graue Einerlei noch. Eine andere (besonders überzeugend: Vera Flück) begleitet...
Nun Jürgen Flimm. Und jedes Mal denke ich: Hätte ich doch bloß noch angerufen oder wäre nochmal vorbeigefahren; aber am Theater ist ja bekanntlich immer Alarmzustand, so dass man das Gefühl hat, nie so richtig wegzukommen, und dann vergisst man, den Kontakt zu halten zu Menschen, die einem mal lieb und wichtig waren. Jürgen Flimm war nie lieb, aber wichtig, und er...
Das Persönliche aufschreiben, um es zu etwas Allgemeinem zu machen: «... dass meine Existenz im Kopf und Leben der anderen aufgeht.» So erklärt Annie Ernaux in «Das Ereignis», warum sie sich 1999 daran machte, ihre Abtreibung als junge Frau knapp 40 Jahre zuvor schreibend zu rekonstruieren. 1963 war eine Schwangerschaftsunterbrechung in Frankreich ein Verbrechen;...