Kunst als Droge

Albert Ostermaier und Martin Kušej verlegen am Münchner Residenztheater einen Mythos in modernes Krisengebiet, und Alvis Hermanis zelebriert den konspirativen Kunstgenuss

Stücke sind out, Stückentwicklungen in – der Eindruck drängt sich beim Durchblättern der Spielpläne auch großer Schauspielhäuser seit Längerem auf, zumindest was die aktuelle Dramatik betrifft. Dabei wird oft unterschätzt, dass Selbermachen hier oft eines höheren zeitlichen Aufwands bedarf, den sich die Theater im engen Premierentakt dann doch nicht leisten wollen.

«Ein Projekt von Albert Ostermaier und Martin Kušej», so heißt die Produktion «Phädras Nacht» am Münchner Residenztheater im Untertitel, und so kann man schon mal sicher sein, dass hier poetisch und inszenatorisch Hochprozentiges ausgeschenkt wird. Im markanten Schulterschluss sind Autor und Regisseur angetreten, den aktuellen Themenkomplex Flucht, seelische Kriegsversehrungen, Abstumpfung und Entwurzelung mit einer mythischen Amour fou kurzzuschließen, die europäische Verstrickung im Afghanistan-Einsatz und dessen unheilvolle Folgen mit der generationenübergreifenden Fantasmagorie der liebeswunden Königin, die ihre Zurückweisung durch den Stiefsohn mit einem falschen Vergewaltigungsvorwurf grausam rächt.

Ganz vom Gefühl auszugehen, mag da zunächst kühn erscheinen, birgt allerdings auch die Gefahr, in der Doppelschau ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Theater-heute-Artikel online lesen
  • Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Theater heute Juli 2017
Rubrik: Aufführungen, Seite 14
von Silvia Stammen

Weitere Beiträge
Zürich: Diener mit Fehl­funktionen

Am Schauspielhaus Zürich sind sie alle ein bisschen Matti. Brechts Titelheld, der seinen Herrn Puntila bekanntlich sicher im Studebaker von einer Eskapade zur nächsten chauffiert, neigt in Sebastian Baumgartens Inszenierung zur temporären Vervielfältigung seiner selbst. Eingangs stiert noch ein einsamer Johann Jürgens hinterm Steuer einer Holzspielzeuglimousine vor...

Weit weg von Russland?

Nachdem vor kurzem die wichtigste liberale Zeitung «Nép­szabadság» eingestellt wurde und nach dem regimeaffinen Eigentümerwechsel bei mehreren Radio- und Fernsehsendern, gerät die Pressefreiheit – so auch dem Freedom House Report zufolge – in Ungarn in immer größere Gefahr. In den letzten Freiräumen, auf YouTube, Facebook und auf der Straße bei Demonstrationen...

Die äußere und die innere Bedrohung

Das Andere, das Fremde – natürlich: Sie. Jana Schulz ist Alboury, Bernard-Marie Koltès’ «Schwarzer». Sie dominiert, aufgeladen mit allem Möglichen des Unmöglichen, Offenen, Rätselhaften, aus dem Hintergrund die Szene. Wenn sie hervorkommt aus dem Dunkel des kahlen Gestrüpps aus Schläuchen und Kabeln, die Schlingpflanzen gleichen, und unters Licht der acht...