Das große Tabu
Orange leuchtet die Glühbirnen-Schrift auf der grauen Lamellenleinwand, die den dunklen Raum der kleinen Studiobühne teilt: «NEDEN» – Warum? Aus dem nur halb einsehbaren Bühnenhintergrund sprechen drei Männer chorisch den Paragraf 301 des türkischen Strafgesetzbuchs, der die öffentliche Beleidigung des «Türkentums» (seit 2008 der «türkischen Nation») unter Gefängnisstrafe stellt.
Vor der Leinwand landen die nachgespielten Szenen der politischen TV-Talkshow «Neden» bei ihrem eigentlichen Thema: Die Diskussion um den EU-weit umstrittenen Paragrafen, auf dessen Grundlage die türkische Justiz immer wieder Kritik am Staat als Angriff auf seine nationale Ehre wertet, führt zielgenau zum Völkermord der Türken an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs.
Beseitigung eines «Landesverräters»
Eric Friedler zeigte in seinem Dokumentarfilm «Aghet – Ein Völkermord» im NDR 2010 grauenvolle Bilder aus dieser Zeit. Regisseur Züli Aladag ergänzt Sequenzen aus diesem bemerkenswerten Film (in dem Schauspieler wie Sandra Hüller, Burghart Klaußner, Martina Gedeck und Hanns Zischler längst verstorbenen Zeitzeugen Gesicht und Stimme liehen), mit Spielszenen, die er aus dem Talkshow-Material von 2006 ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein

- Alle Theater-heute-Artikel online lesen
- Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Theater heute März 2012
Rubrik: Magazin: Politisches Theater, Seite 61
von Anja Quickert
Ja, die Zeit. Sie ist schon ein bisschen stur, wie sie so unverdrossen immer nur in eine Richtung voranschreitet und gar keine Wiederholung zulässt. So lautet der Tenor von Elfriede Jelineks Stück, das sich einmal mehr als widerständige Textmasse gibt, sich auf Schuberts «Winterreise» bezieht und ein Triptychon mit persönlichen Tönen ist: Zuerst geht es um die Zeit...
Wenn der alte Christian Maske (Henning Hartmann) hinter dem Gaze-Vorhang das Treiben seiner Nachkommen beobachtet, packt ihn das Grauen. Infantile Spiele und Lebensuntüchtigkeit in Gestalt seines Sohns Phillip Ernst (weinerlich und ängstlich: Aljoscha Stadelmann) wechseln sich mit der eiskalten Skrupellosigkeit seiner attraktiven Tochter Sofie (Rebecca...
Das Thalia Theater hatte mich gebeten, für Helmut Schmidt ein Stück zu spielen. Ganz privat, in seinem Haus in Langenhorn. «Welches Stück? In was für einem Raum?», fragte ich. «Eines von deinen Solo-Programmen. In seinem Wohnzimmer. Dreißig Minuten Zeit für die Einrichtung.» Gut, dachte ich, dann machen wir «Amerika» von Kafka.
Das Vorhaben schien unwirklich, doch...