Sprünge durch Zeit und Raum
Zweimal schon musste die Jury erklären, warum sich keine spontane Flut von Corona-Dramatik über die deutschsprachige Theaterlandschaft ergossen hat. Jetzt, zur dritten Ausgabe der Mülheimer Theatertage seit Pandemie-Beginn, gibt es jedoch ein Stück mit dem sperrigen Titel «Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen!»: Elfriede Jelinek, die seit Jahrzehnten an den Verwerfungen der Gegenwart entlang ihre Texte schreibt, hat schon im ersten Corona-Jahr geliefert; im Juni 2021 inszenierte Karin Beier am Hamburger Schauspielhaus die bild- und sprechgewaltige Uraufführung.
Und natürlich geht es auch, aber nicht nur um das zermürbende Diskursgekläffe rund um Maske, Impfung, Inzidenzen, sondern vor allem um die größeren systematischen Zusammenhänge, die die Nobelpreisträgerin in vielen ihrer Stücke herstellt.
«Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen!» spielt in einer Ischgler Après-Skihütte mit reichlich Booze und Balz, an einem realen Superspreader-Hotspot also. Von hier aus zieht Jelinek in vertrauter Manier ihre ideolo -gischen und ideologiekritischen Linien: einmal in Richtung Massentierhaltung und profitorientierten Ressourcenverbrauch, zu kapitalistischen Märkten also, die Mensch und Tier näher ...
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Theater heute Mai 2022
Rubrik: Mülheim Stücke, Seite 36
von Eva Behrendt
Wenn man an einem frühlingshaften Freitagabend zu einer «Hamlet»-Premiere die breiten Stufen des Anhaltischen Theaters hinaufsteigt und dabei nur über ein Grüppchen von sieben Leuten stolpert, begreift man, dass Dessau zu den Shrinking Cities gehört. Trotz der Fusion 2007 mit der Nachbargemeinde Roßlau, trotz Bauhaustourismus, Pharma- und Fahrzeugtechnikindustrie,...
Willkommen im alternativen Jugendzentrum, nur echt mit Bühnenelementen aus Bierkästen und cooler Riot-Girls-Band, die mit Elektropunk einmal so richtig vom Leder zieht. In diesem Setting lassen Regisseurin Kathrin Brune und Kostüm- und Bühnenbildnerin Pia Wessels im Chemnitz die Uraufführung von Paula Irmschlers Debütroman «Superbusen» von der Leine.
Tatsächlich...
Da ist es also, das trojanische Pferd. Herein -gerollt durch Bühnennebel, riesig, hölzern. Auf den letzten paar Metern gelingt ihm, was das Stück zuvor kaum fertigbrachte: die Weite des Bockenheimer Depots zu füllen, und sei es auch nur physisch. Bespielt wird die übergroße Pointe im Übrigen nicht, aber was soll’s: Hier zeigen die Gewerke, hier zeigt das Theater...