Sex und Ehre
Sage niemand, dass Regisseurin Rahel Hofbauer die Zuschauer:innen im Regen stehenlassen würde. Guido Gallmann schlendert auf die Bühne, guckt erstmal, dann spricht er ins Publikum: ein bisschen Figurencharakterisierung, ein bisschen Backstory, ein bisschen Aufführungsgeschichte, ein bisschen Quelleninfo. Auf dass alle verstehen, um was es in «Emilia Galotti» geht. Was nötig sein könnte: Das Stück ist in Bremen zwar Abiturstoff, die Regisseurin aber lässt nur noch Bruchstücke von Lessings Vorlage übrig, vor allem kürzt sie eine zentrale Figur. Emilia nämlich tritt nicht auf.
Dass die Hauptfigur zur reinen Projektionsfläche wird, ist eine interessante Setzung, die zudem das Problem umgeht, das das Stück heute schwer zugänglich macht: Lessing beschreibt in Emilias Schicksal einen tragischen Ehrenmord, bei dem die Ermordete das Geschehen selbst gutheißt. Bei Hofbauer aber bleibt Emilia abwesend und passiv, jemand, der in eine Geschichte hineingeschmissen wurde und keine Chance hat, selbstbestimmt zu agieren. Ein bisschen schade ist, dass sich dieser Idee praktisch alles unterzuordnen hat – das hochtalentierte Ensemble mit Nadine Geyersbach, Jan Grosfeld, Levin Hofmann und Jorid ...
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Theater heute November 2023
Rubrik: Chronik, Seite 55
von Falk Schreiber
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