Nürnberg: Allens morsch!
«Horchen Se, wie det knackt, wie Putz hinter de Tapete runterjeschoddert kommt! Allens is hier morsch! Allens faulet Holz! Allens unterminiert, von Unjeziefer, von Ratten und Mäuse zerfressen! Allens schwankt! Allens kann jeden Oochenblick bis in Keller durchbrechen.» Was Gerhart Hauptmann in seinen «Ratten» (1911) beschreibt, ist nicht nur der Zustand eines baufälligen Berliner Mietshauses, es ist auch die Gesellschaft, die er meint. Von wegen blühende Landschaften! Das soziale Elend hat sich breitgemacht und eingenistet, es wuchert und ernährt sich selber.
Die Ruine ist zur Heimstatt einer immer größer werdenden Schicht geworden, die Bewohner selber sind ruinös. Prekariat nennt man das heute, was sich nur wenig von «denen da unten» nach der Jahrhundertwende und vor dem großen Krieg unterscheidet. Es kam dann damals irgendwann ein Führer, der mit einfachen und gegrölten Worten Veränderung versprach; und jetzt ist das nicht viel anders, wenn «Schuldige» an der Misere angeprangert werden, um das Volk ins nationale Wir-Gefühl taumeln zu lassen.
Das wäre drin in Hauptmanns Drama, doch Sascha Hawemann sieht lieber das komisch Klamottige im Stoff als die anrührende Tragik und ...
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Theater heute Mai 2017
Rubrik: Chronik, Seite 67
von Bernd Noack
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