Nähe und Distanz
Unmittelbar vor der Pause tanzt eine aus der Reihe: Kathleen Morgeneyer, zwei Stunden lang ein aufgekratztes Hühnchen auf der Suche nach ein bisschen Leidenschaft, nimmt sich ihren Auftritt, reißt sich den goldenen Lametta-Fummel vom Körper und tritt im roten Licht halbnackt an die Rampe, schwarze Troddeln an der Brust und tiefe Verzweiflung in der Stimme: «Schaffen wir uns ab!», röhrt sie mit Peter Lichts Song «Neue Idee» zu eckigen Tanzschritten, während sie sich schwarze Farbe in den Slip gießt und über die Beine rinnen lässt: Blacklegging, eine neue Form der Selbstauslöschung.
Durchschimmernde Sehnsüchte
Eine Verwirrung im schönen Spiel des Altbekannten, das Daniela Löffner mit ihrer Inszenierung von Gorkis «Sommergästen» im Deutschen Theater bis dahin zelebriert hatte; im geschlossenen Holzkasten (von Claudia Rohner), in dem das 15-köpfige Ensemble auf flexiblen Klappstühlen unsortiert Platz genommen hat. Wir kennen die Versuchsanordnung. Jürgen Gosch hat sie immer wieder angewendet in den auf- und abganglosen Boxen, die Johannes Schütz ihm baute: ein Spiel im Kasten, das keiner der Akteure je verlässt, das Ensemble eine omnipräsente Einheit, aus der immer wieder einer, zwei ...
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Theater heute April 2018
Rubrik: Aufführungen, Seite 20
von Barbara Burckhardt
Die Tochter ist nicht glücklich mit ihrer neuen Heimat: Die Eltern, Deutschtürken der zweiten Generation, sind mit ihr wie jedes Jahr in den Ferien nach Adana in die Südtürkei gefahren, ins Eigenheim «in der Nähe einer Airbase», um ihr am letzten Urlaubstag zu eröffnen, dass es nicht zurück nach Deutschland gehen wird. Die Mutter macht eine Physiotherapiepraxis...
Im Hotel «Zur schönen Aussicht» haben sich Personal und Bausubstanz mit dem Bankrott des guten Namens abgefunden. Die Marmorverkleidung am Empfangsportal geht nahtlos in stockfleckige Wände über, in der Lobby lungern Möbel von unpfändbarer Qualität, im Gewölbe verdüstert sich die Historie eines Monumentalgemäldes zur Unkenntlichkeit. Das Restaurant: notorisch...
Der Start von Wilfried Minks’ Theaterlaufbahn lag im sprichwörtlichen Kleinstrollendorado, in Wurzen (Sachsen). Dort wurde der 1930 im 200-Seelen-Dorf Binai in Tschechien geborene und nach dem Krieg mit seiner Familie vertriebene Bauernsohn mit 17 Jahren «Stift», also Lehrling des Theatermalers am örtlichen Boulevardtheater: ein Saal mit 350 Plätzen und Premieren...
