Momente der Öffnung
Ein Zaubertrick zum Festivalauftakt: Performerin und Tänzerin Maija Karhunen liegt auf der Bühne zwischen kreisenden Lichtkegeln und fischt nach Objekten: Schal, Notizbuch, Feuerzeug – allesamt im Foyer vom eintrudelnden Besucher eingesammelt, der da schon ahnen konnte, in «Ajima» selbst noch eine Rolle zu spielen. Karhunen greift Gegenstände, findet die Eigentümer:innnen im Publikum und beginnt seherisch zu deuteln: Eine große Last liege etwa auf dem Gürtelstifter, «aber in eineinhalb Jahren wird das wieder».
Anderen rät sie, sich weniger in den Mittelpunkt zu drängen oder «ihn» endlich anzurufen.
Die Spiegelung ist nicht subtil, aber von feinen Rissen durchzogen. Denn klar sind die mitunter absurden Wahrsagereien und Persönlichkeitsanalysen auch eine Retourkutsche: Karhunen hat die sogenannte Glasknochenkrankheit, ist als Künstlerin mit Behinderungen selbst ununterbrochen Erwartungshaltungen und Projektionen ausgesetzt, die mit Kunst oder ihrer Lebensrealität nicht das Geringste zu tun haben – und die fallen auch nicht weniger anmaßend und plump aus als ihr Fingerzeig ins Publikum. Nur erfährt man eben auch das: Wenn es einen selber trifft, dann fühlt sich auch Unsinn sonderbar ...
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Theater heute Dezember 2021
Rubrik: Festivals, Seite 42
von Jan-Paul Koopmann
1./MITTWOCH 22.40, arte: 40 Jahre Aids – Schweigen = Tod
Dokumentation (Deutschland 2021) von Jobst Knigge
23.15, arte: Hervé Guibert – Anschreiben gegen den Tod
Dokumentarfilm (Frankreich 2019) von David Teboul
2./DONNERSTAG 22.30, arte: Toni Erdmann
Spielfilm (Deutschland/Österreich 2016) von Maren Ade, mit Sandra Hüller, Peter Simonischek, Michael...
Wäre Covid-19 so tödlich wie die Pest, würde sich wohl noch der verpeilteste Aluhutträger lieber heute als morgen impfen lassen. Man kann die Krankheiten also nur sehr bedingt miteinander vergleichen. Dennoch sind Pest-Romane die Bücher der Stunde; das gilt auch für Mary Shelleys «The Last Man» von 1826, der passenderweise erst Anfang des Jahres in einer neuen...
Schummriges Rotlicht im Zuschauerraum, auf der Bühne ein Setting zwischen Kinderzimmer und Bordell: Vier aufblasbare Plastikraketen bilden eine Art Burgfried, zwei von ihnen tragen umgedrehte Gesichter als Sockel. Männliche? Weibliche? Lässt sich nicht sagen. Im Halbdunkel taucht eine zarte Gestalt mit langer Haarmähne auf, vorne angekommen knickt sie wie unter...