Foto: Andreas Pohlmann

Lust auf Abgrund

Was so ein Stadttheater alles kann, wenn der Regisseur und Bühnenbildner eine Idee hat. Riesige Laufbänder, die sich heben, senken, drehen und schwenken lassen? Die große Bühne ein Maschinenraum der Moderne? Gruppen skandierender Schauspieler im mehrstündigen Dauerschritt? Schillers «Die Räuber», inszeniert auf einem Laufband? Alles kein Problem für Technik und Werkstätten des Münchner Residenztheaters. Ein Jahr lang wurde geplant, gerechnet, ausprobiert und getüftelt, bis die Konstruktion stimmt, alle Sicherheitsbestimmungen erfüllt sind und die gigantischen «Räuberwalzen» das Laufen lernen. Ein Bühnenbild als Beispiel, was ein Stadttheater mit seinen Gewerken und Möglichkeiten so alles kann – können muss!

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Zwei schwarz angemalte Toilettenpapierrollen und eine Depafit-Leichtstoffplatte: Dies war die Grundidee zum aufwändigsten Bühnenbild, das je am Residenztheater gebaut worden ist. Es besteht aus einem gewaltigen, vier Tonnen schweren Laufband und einem zweiten, etwa 3,5 Tonnen schweren Laufband auf drei Hubpodien, die vier Meter nach unten reichen. Darauf deklamieren die Darsteller den Schillerschen Text, der mit Veröffentlichungen des linksradikalen fran­zösischen Autorenkollektivs Comité invisible angereichert wurde.

Auf der Vorderbühne sitzen zu beiden Seiten je zwei Musiker. Links spielt Mariana Beleaeva die Violine und Jenny Scherling die Viola, rechts bestimmen Heiko Jung am E-Bass und Fabian Löbhard mit Percussioninstrumenten den Rhythmus des Spiels. Die Musik oder der performative Klangteppich von Ari Benjamin Meyers wurde eigens für die Inszenierung komponiert. Er selbst nennt sein Werk ein «akustisches Bühnenbild, das, genauso wie die Laufbänder, den Schauspielern Tempo und Energie vorgibt».

Die Laufbänder sollten sich heben, senken und fließende Positionen einnehmen können. Dazu mussten zehn Antriebe hergestellt werden, weil diese nicht Teil der Bühnenmaschinerie waren, ...

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Theater heute Jahrbuch 2017
Rubrik: Die Bühne des Jahres, Seite 120
von Eva Maria Fischer

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