Gute Zeiten, schlechte Zeiten
Es war auch noch ein besonders heißer Sommer, als Christoph Schlingensief im Jahr Null des neuen Jahrtausends vor der Wiener Staatsoper ein paar Baucontainer zusammenschob und «Ausländer raus» darauf schrieb. In den stickigen Blechhütten saßen keine Schauspieler, sondern Asylbewerber, die vom Publikum zurück ins Heim gewählt werden konnten, einer von ihnen sollte angeblich die ersehnte Aufenthaltsgenehmigung gewinnen.
Draußen auf den Containern stand Christoph Schlingensief und agitierte per Megafon die Passanten, indem er ihnen einen unentwirrbaren Verhau aus rechtsradikalen Phrasen, Schlingensief-Charme und Dada-Performance um die Ohren schrie. Die Strategie, als aufgeklärter Künster so tief und identifikationsbereit im braunen Schlamm des gesunden Volksempfindens zu wühlen, bis sich die Kategorien der politischen Sauberkeit auflösen, funktionierte hervorragend. So gut, dass sogar ein paar Dutzend politisch sehr aufrichtige Teilnehmer einer wöchentlichen Anti-Haider-Demo im Vollgefühl ihrer Lauterkeit zu Container-Stürmern wurden, missliebige Transparente herunterrissen und das Lager überrannten. Nur einmal war das ästhetische Borderline-Unternehmen ernsthaft in Gefahr: Als ...
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10. November
Leseprobe. Die Schauspieler, die Gosch um sich versammelt hat, haben alle schon mit ihm gearbeitet. Sie sind dabei gut gefahren. Jeder von ihnen weiß um seine Krankheit. Er beginnt mit der Bitte, man möge ihn nicht an den Schultern berühren. Die Metastasen seines Tumors haben sich unter die rechte Schulter geschoben. Angela Schanelec hat das Stück neu...
Die erste Entdeckung im Archiv des Berliner Maxim Gorki Theaters ist ein massiver Stapel Schwarzweißfotos. Darauf: Jeweils zehn Schauspieler, die vom ersten bis zum letzten Bild ohne nennenswerte Positionsveränderung deklamierend an der Rampe stehen; die Männer in Anzügen, die Frauen in Sixties-affinen, aber gern auf staatstragend gerüschten Minikleidern. Der Abend...
Der giftige Saft der Tollkirsche (Atropa belladonna) verlieh, in die Augen geträufelt, einen träumerischen Blick und war ein Aphrodisiakum und Schönheitsmittel der Frauen; doch Atropa ist auch der Name der griechischen Schicksalsgöttin, die den Lebensfaden durchschneidet. Die Frauen, ob Mutter, Tochter, Gattin, Geliebte, Rivalin oder Feindin, ob Griechin oder...