Globaler Realismus, globale Kritik
Seit dem Frühjahr drehen wir in Süditalien, nahe Matera, mit ehemaligen Darstellern der Jesus-Filme von Pasolini und Mel Gibson sowie einem Cast aus italienischen Kleinbauern und afrikanischen Plantagenarbeitern ein «Neues Evangelium». In der Region um Matera, europäische Kulturhauptstadt 2019 und Drehort des «Evangeliums nach Matthäus» und der «Passion Christi», stecken geschätzt um die 500.000 Flüchtlinge aus Afrika fest.
Sie leben in Baracken oder behelfsmäßigen Zelten, können wegen der Dubliner Verträge weder vor noch zurück und müssen sich auf den Tomatenplantagen zu Niedrigstpreisen verdingen. Was wäre einleuchtender, als hier den sozialrevolutionären Mythos der Jesusbewegung ins 21. Jahrhundert zu holen?
Wenn wir den Jesus-Darsteller unseres «Neuen Evangeliums», den ehemaligen Plantagenarbeiter und heutigen Aktivisten Yvan Sagnet durch die Lager begleiten, um die Flüchtlinge zu einem gemeinsamen Streik aufzurufen, dann ist das eine offene Revolte. Die süditalienische Agrarindustrie wird beherrscht von der Mafia, die verschiedenen nationalen Flüchtlingsgruppen werden vom Staat und den Unternehmern gegeneinander ausgespielt. Sie werden den Teufel tun, Sagnet machen zu ...
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«Zwei Jahre klingen lassen.»
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