Fortschritt und Tragödie
Schwarze, geschlechtsneutrale Gewänder in nebeldüsterem, schwarzem Bühnenraum; nur ein dünner blauer Neonkreis – ein schmaler Sonnenrest? – hängt über der Bühne. Tastende Schritte einer eng zusammengedrängten Menschengruppe, die langsam, mit großen Pausen einzelne Wörter hervorstößt, von Mikroports hallig verstärkt. Irgendwann schleicht sich ein tiefes Brummen in die Tonspur (Kompositon Nico van Wersch), gefolgt von metallischen Geräuschen, die verdächtig nach Messerwetzen klingen. Später kommen an- und abschwellende Klangflächen dazu, Marke Feuerwehrsirene.
Man muss kein Hellseher sein, um Ulrich Rasches «Ödipus» im Deutschen Theater Berlin ein unschönes Ende zu prophezeien.
«König Ödipus» wird gerne unterschätzt. Sophokles’ Tragödie ist nicht so geschlossen und selbsterklärend, wie sie scheint. Die Geschichte des Thebaner-Königs, der während einer Pest-Epidemie bei eiligen Nachforschungen auf die schlimmsten Familienverbrechen – Vatermord, Inzest – stößt und stürzt, ist zwar äußerlich ein makellos gestrickter Recherche-Krimi, der erfolgreich alle dunklen Stellen aufdeckt. Doch die eigentlichen Fragen ließ der Autor geschickt changieren. Wenn man dem Orakel der Götter nicht ...
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Theater heute November 2021
Rubrik: Aufführungen, Seite 14
von Franz Wille
Es war ein lausiges Leben, das W. führen musste. Kurz war es auch (1780–1824), voller Erniedrigungen, Entbehrungen, bestimmt von Krieg und Gewalt. Und unerfüllter Liebe. Schließlich dann diese Tat, die unentschuldbar, möglicherweise doch erklärbar ist: blinde Eifersucht? Am 21. Juni 1821 ersticht Johann Christian Woyzeck die Witwe Johanna Woost.
«Stich, stich die...
Würde nicht André Szymanski diesen Jakob spielen und das mit einer so überzeugend lässigen Ernsthaftigkeit, mit einem so nachdenklichen, ruhigen Ton, dann wäre man am Ende etwas verstimmt. Denn an den Schluss ihrer Inszenierung der «Jakobsbücher» setzt Ewelina Marciniak einen Kommentar, der den titelgebenden Helden wohl auf den Boden der feministischen Tatsachen...
Hatten seit Beginn der Intendanz von Shermin Langhoff jemals zwei Schauspielerinnen, weiß wie Schneeflocken, die Bühne für sich allein, begleitet nur von einem ebenfalls weißen Harfenisten? Das Team um die erstmals am Maxim Gorki Theater inszenierende Regisseurin Leonie Böhm hat den Bruch mit der postmigrantischen Normalität am Haus dick unterstrichen: Svenja...