Ein Ekel nach dem anderen

Mit «Faust» nachts im Kurheim – ein Auszug aus Einar Schleefs Tagebuch, Band Vier, 1999–2001

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Nacht vom 16. auf den 17.2. 2001 und Morgen 6 Uhr 35

Grausam. Gegen 23 Uhr wankte ich zum 1.

Mal nach unten, auf der Treppe begegnete ich einer Ärztin, die mich ziemlich verstört den Hosenstall zumachen sah, ich wollte mich einfach richtig anziehen, danach Streit mit demWachmann, der mich nicht in den Fernsehraum lassen wollte, ekelhaft, reine Schurigelei, es sei Nachtruhe, das dürfe er nicht, da wollte ich etwas vor die Tür, das gehe jetzt auch nicht, er habe die Tür verriegelt und gehe jetzt, wie ein Gefängnis, plötzlich sagte ich das, was meine Mutter angeblich, kurz bevor sie sich zum Sterben hinlegte, gesagt haben soll, wie in einem Gefängnis, ich wankte weiter, solle mich unten hinsetzen, da sähe er das nicht, eine beleidigende Zurechtweisung, hatte ich ihn aufgescheucht, war ihm was über die Leber gelaufen, ich tapste durch den dunklen Bau, der nur durch die Fenster Licht von draußen bekam, nach unten, in die mir nicht bekannten Gänge, sah in einem Gang Licht, fast wie in einem Glaskasten saßen da 2 Patienten, Mann und Frau, vor einer Riesenglotze, die Füße auf einem Stuhl, SAT 1 Fußball, sie diskutierten, kannten die Mannschaften, ihre Auf- und Abstiegschancen, während ich mich an den widerlichen Raumgeruch gewöhnen mußte, doch blieb, irgendwie ging das Spiel zu Ende, Jammer über 2 Tore und doch verloren. Hemdentausch der Spieler. Die üblichen fernsehgerechten Kommentare zu Sieg oder Niederlage. Das Paar erhob sich, er drückte mir die Fernbedienung in die Hand, sehr nobel, als ich aber fragte, wie man sie bedient, meinten beide wie aus einem Mund: Der rote Knopf unten. Ich stutzte, das war der Aus-Knopf. Ich schüttelte den Kopf, bitte, wie macht man das, da drehte sie sich um, kam 2 Schritt zurück, hier das Programm und bei Plus wechseln die Kanäle hintereinander. Danke. ...

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Theater heute Mai 2009
Rubrik: Akteure, Seite 42
von Einar Schleef

Vergriffen
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