Die sprechenden Kulissen des Anthropozäns
Im letzten Kunsterlebnis der Spielzeit fahren wir auf geliehenen Rädern dem Lyriker Stefan Wartenberg hinterher. Er führt uns an von hochsommerlicher Trockenheit gekennzeichnete Ecken im Chemiepark, rund um die Bahngleise und durch den Ortsteil Bitterfeld, um dort «Bergbaufolgelyrik» vorzulesen.
Überall werden verschiedene Zeitschichten sichtbar: verblichene Verse auf einer braungrauen Hausfassade, das Adjektiv «sozialistisch» gerade noch erahnbar, neben einer Photovoltaik-Freiflächenanlage ein von Kletten, Brombeeren und Rainfarn überwuchertes Stellwerk, vermutlich älter als die DDR. Am Rand des Chemieparks halten wir vor einem Showcenter für Wintergärten. Mit Blick auf Kakteen und eine Hausbar hinter Glas liest Wartenberg Wolfgang-Hilbig-Gedichte.
Könnte so das nachhaltige Theater der Zukunft aussehen? Umsonst und draußen, sofern das Thermometer nicht über 38 Grad anzeigt, ohne Heizung, Licht und Mikrofon, vor den sprechenden Kulissen des Anthropozäns mit seinen Gewerbegebieten und Transportrouten, Strommasten und Pipelines, durch die vielleicht bald schon kein Gas mehr fließt? Bitterfeld-Wolfen gehört zu den geschrumpften und fusionierten Städten im Bundesland Sachsen-Anhalt, ...
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Theater heute Jahrbuch 2022
Rubrik: Risiko, Seite 48
von Eva Behrendt
Wie gelangen wir sicher ins Innere? Und wieder hinaus, ohne den Halt zu verlieren?», fragt sich gleich zu Beginn von Kevin Rittbergers neuem Stück «Wir sind nach dem Sturm» der Bergrat Wilhelm August Julius Albert. Die Rede ist vom Vordringen in die Erde, die doch so viele Schätze unter ihrer harten Kruste verbirgt, die scheinbar gehoben sein wollen. Gleichzeitig...
Die Menschen sind schlecht, und die Welt ist am Arsch», singt der Sänger Kummer in «Der letzte Song». Es geht darin um die Musik an sich, die in dieser Welt Trost spenden könnte. Um einen Künstler, der gern sagen würde, «das System ist defekt, die Gesellschaft versagt / aber alles wird gut». Es gelingt ihm nicht. Er kann immer nur sagen, was ist, und dass das, was...
Es ist Anfang der 2000er, ich bin Anfang 20 und habe einen der begehrten Ausbildungsplätze bekommen. Ich studiere Schauspiel. Ich bin überglücklich. Mir fällt eine Tabelle in die Hände, aus der ersichtlich ist, dass ich trotz eines Studiums weit weniger verdienen werde als andere Leute am Theater, auf und hinter der Bühne. Erstmal egal. Ich brenne für meinen Beruf.
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