Die Banalität der Gewalt
Was wäre, wenn eine Frau Jahre später ihrem Vergewaltiger erneut begegnete? Und wenn sie die Gelegenheit bekäme, ihn zur Rede zu stellen? In ihrem Stück «Der Vorfall» führt Deirdre Kinahan dieses Gedankenspiel durch. Die irische Autorin, 1968 geboren, hat bereits um die dreißig Theaterstücke geschrieben und zahlreiche Preise erhalten, im deutschsprachigen Raum ist sie jedoch weitgehend unbekannt. Die Theatermacherin und Schauspielerin, die eher zufällig zum Schreiben kam, befasst sich stets mit sozialen, politischen Themen.
Mit Prostitution beispielsweise, mit Familientraumata und dem irischen Bürgerkrieg. Das Staatstheater Mainz hat nun mit «Der Vorfall» erstmals ein Stück von ihr zur deutschsprachigen Erstaufführung gebracht. Darin kehrt eine Frau an den Ort ihrer Kindheit zurück, um ihr Elternhaus zu verkaufen. In dem Ehemann der Maklerin glaubt sie, einen der Männer zu erkennen, die sie in ihrer Studienzeit auf einer Party misshandelten und vergewaltigten.
Das Haus wird zur Zeitmaschine, bei der Inszenierung von Kathrin Mädler auch ganz wörtlich: Im Vordergrund der Bühne ein reinweißes, übergroßes Jugendzimmer, mit Riesenbett und einer Wandkonsole voller Erinnerungsstücke ...
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Theater heute 7 2022
Rubrik: Chronik, Seite 61
von Esther Boldt
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Woran kann man sich da festhalten? Ein aufblasbares Plastikgefängnis als Bühne, an dessen Wän -den man nur abgleiten und in dessen Bodenspalten man versinken kann, darin fünf hyperaktive Sprecher:innen, die alles um sich herum schwindlig reden. Es geht um Erziehung, den Staat, die Zivilisation, die Lohnarbeit, geile Gefühle und noch einiges mehr. Außerdem gibt es...
Und dann kommen die Tränen. Rotz und Wasser, die ganze schöne FFP2-Maske voll. Das passiert eigentlich nicht im Theater. Theater ist Arbeit, intellektuelle Herausforderung, Genuss, verlorene Zeit, wiedergefundene Zeit. Aber «berührend», das ist in erster Linie ein Adjektiv, um in Kritiken einen perfekt inszenierten Moment zu schildern. Schuld daran ist Familie...