Der Roman raschelt
Vor dem Thalia Theater toben die Vorbereitungen des Evangelischen Kirchentags. Aufgekratzte Christen spazieren durch die Hamburger Innenstadt, hoffnungsfroh, sicher im Glauben. Im Thalia hingegen ist nichts sicher. Da wird Glaube verworfen, neu aufgerollt, in Fanatismus gewendet und vor allem umfassend diskutiert: Als letzte große Premiere der Spielzeit inszeniert Luk Perceval Fjodor M. Dostojewskis Roman «Die Brüder Karamasow», der «das Ringen um Sinn und Moral» ins Zentrum stellt, ein Ringen, das eigentlich die Paradedisziplin der Religion ist.
Reden.
Und Reden
Es ist kein Zufall, dass die Premiere ausgerechnet am Vorabend des Kirchentages stattfindet: Das Thalia ist ein Spielort des evangelischen Laientreffens, «Kirchentag im Thalia Theater ist Kultur, ist Gesellschaft, ist Europa und ist eine Einladung», wirbt die Bühne auf ihrer Website, mit Perceval führt der hauseigene Spezialist für metaphysische Stoffe Regie (der freilich den Buddhismus im Vergleich zum Protestantismus für sinnstiftender hält). Und ähnlich wie beim Kirchentag mit seinem Diskurscharakter ist auch Dostojewskis 1.000 Seiten dicker Roman durchzogen von einem andauernden Abwägen unterschiedlicher Positionen: Der ...
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Theater heute Juni 2013
Rubrik: Aufführungen, Seite 24
von Falk Schreiber
Das «missing link» zwischen John Cages Geräusch-Musik-Konzepten und dem nun auch schon traditionellen Techno ist endlich als Werk eines Tüftler-Künstlers aus Finnland dargestellt. Der 1935 geborene Martii Mauri begeisterte sich in den frühen sechziger Jahren an seinen Tonbandaufnahmen von russischen Traktorenmotoren, deren Diesel-Ding-Ding-Dong später als Blaupause...
Unbewaffnet rückt kein Eidgenosse aufs patriotische Feld aus. Wilhelm Tell trägt seit Jahr und Tag Armbrust. Auch der Schauspieler Mike Müller wappnet sich für seinen «Truppenbesuch». «Müller inspiziert die Schweizer Armee», verspricht sein Soloabend im Zürcher Neumarkt im Untertitel.
Es hat etwas Zivilritterliches, wie sich Mike Müller das Thema erobert. Der...
Es atmet. Wie eine Gänsehaut über den Rücken, so kriecht das leicht verstärkte Atemgeräusch der sechs Performerinnen in Young Jean Lees «Untitled Feminist Show» hinterrücks in die Ohren. Erst hört man sie nur, dann sieht man sie auch: Zu beiden Seiten der Tribüne schreiten die Frauen langsam auf die weiße Bühne des HAU 2 hinab und sind – nackt. Nicht nackt im...
