Das große Stillschweigen
Theater heute Vorab die Frage: Wie wird man als Deutsch-Libanesin zur Expertin für den Nahost-Konflikt?
Jara Nassar Das wird einem von klein auf nahegelegt. Man wird schon als Kind gefragt: Was ist so deine Meinung zu Israel? Und dann steht man als Zwölfjährige etwas ratlos da. Aber es hat mich schon lange interessiert, und es gibt Verbindungen: Ich habe Familie im Libanon, war 2006 kurz vor Ausbruch des Krieges dort. Im Libanon leben seit 76 Jahren viele aus Palästina Geflüchtete, das hat mich immer beschäftigt.
In der Schule habe ich mal einen Vortrag über die Wasserverteilung im Westjordanland gehalten: Es schien mir schon damals extrem ungerecht, dass Israel 84 Prozent der dortigen Wasservorräte für jüdische Israelis vorhält. Dann war ich im letzten Jahr fünf Wochen mit einem Studierendenaustausch in Palästina/ Israel und habe die Besatzung dort gesehen.
TH Sie sind mit ihrem amerikanischen Pass eingereist, als Libanesin hätten Sie nicht einreisen können.
Nassar Nein, und sie haben mich an der Grenze auch so schon herausgezogen, vermutlich aufgrund meines sehr arabischen Namens, und mich erst anderthalb Stunden warten lassen, dann viele Fragen gestellt.
TH Wie haben Sie ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
- Alle Theater-heute-Artikel online lesen
- Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen
Theater heute Jahrbuch 2024
Rubrik: Streitstoffe, Seite 66
von Jara Nassar
Angst bildet die Seelenwirklichkeit der mittleren Lagen in unserer Gesellschaft … In Begriffen der Angst fühlt sich die Gesellschaft selbst den Puls» – es ist schon einige Jahr her, dass der Soziologe Heinz Bude mit solchen Sätzen aus seinem Buch «Gesellschaft der Angst» in der interessierten Öffentlichkeit für Aufsehen sorgte. Im Licht der jüngeren Wahlergebnisse...
Wann haben Sie sich zuletzt so richtig geärgert, und warum? Die Frage trifft. Ich fühle mich ertappt und gehe im Geiste die Situationen durch, in denen ich zur Beute dieses ungeliebten und unattraktiven Gefühls geworden bin, frage mich, ob ich mich zu oft geärgert habe in letzter Zeit, vielleicht auch zu sehr und womöglich aus zu geringem Anlass? Ich frage mich...
Wenn ich mit Kollegen aus der «Kunstblase» in verschiedenen Ländern darüber spreche, wie lange die Emanzipation der Ukrainer vom imperialen Einfluss Russlands dauert, treffe ich seltener auf Ablehnung oder Unverständnis als auf eine unaussprechliche Schwere und Trauer. Eine unsagbare geistige Trägheit. Heißt das, dass man alles neu lernen muss, das Brillenglas...