Chor der Demoralisierten

Alfred Kantorowicz «Erlangen»

Theater heute - Logo

Der Skandal blieb aus, «die» Entdeckung ist es dann aber auch nicht gewesen: Als das Theater in Erlangen ankündigte, ein ausgegrabenes Stück des kommunistischen jüdischen Publizisten Alfred Kantorowicz (1899– 1979) uraufzuführen, das auch noch drohend den nackten Titel «Erlangen» trägt, witterten manche Bürger in einer Inszenierung des 1929 geschriebenen Dramas schon posthume Nestbeschmutzung, andere erwarteten dagegen entlarvende Einblicke in das völkisch und braun gefärbte Studenten- und Kleinbürger-Milieu der Universitätsstadt.

 

Enttäuscht wurden beide Fraktionen: Weder wurde die Stadt kollektiv als Brutstätte nationalistischer Gesinnung denunziert («Erlangen ist überall»), noch kamen vergangene und vertuschte lokale Schweinereien ans Licht; enttäuscht wurde aber auch, wer hier die Hebung eines literarischen Schatzes aus den zwanziger Jahren erwartet hatte. Ganz zu Unrecht «vergessen» ist das Werk nicht, selbst der Autor sprach ja nach dem Krieg nicht mehr über seine Jugendsünde, die eher als spontane Reaktion auf die gefährlichen Umtriebe zu werten ist, die er als Jura-Student in Erlangen wahrnehmen musste.

So misstraute auch das Theater dem Text heftig und ließ sich von dem ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Theater-heute-Artikel online lesen
  • Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Theater heute Juni 2005
Rubrik: Chronik, Seite 43
von Bernd Noack

Vergriffen
Weitere Beiträge
Abgrund der Ernüchterung

Geschlossen» signalisieren wuchtig schwarze Lettern auf dem Vorhang. Doch die Drohgebärde gilt, gelegentlich aufflackernden Prophezeiungen zum Trotz, nicht dem liebenswert winzigen Theaterchen mit seinen knapp 300 Plätzen zu Füßen der Heideksburg. Gemeint ist ein ehemaliger Schweinestall, irgendwo in einem gottverlassenen östlichen Landstrich, in Oliver Bukowskis...

Der Boulevard ist nicht blöd

André Jung ist Thorsten Fechner. In zweiter Linie. In erster Linie ist André Jung natürlich Harpagnon, der Geizige von Molière, aber dieser Jungsche Geizige kommt nun in all seinen geldgierigen und triebunterdrückten Äußerungen exakt genau so daher wie der ebenfalls äußerst geizige Thorsten Fechner aus der ARD-Daily-Soap «Marienhof». Außerdem ist «Marienhof» die...

Siegellack Kafka

Kann man Äpfel mit Birnen vergleichen? Natürlich kann man. In beiden Fällen handelt es sich um Früchte, die aus Schale, Fruchtfleisch und einem Gehäuse bestehen. Wie aber steht es um Nazi-Deutschland und die Vereinigten Staaten von Amerika nach den Anschlägen des 11. September? Ist auch hier eine sinnvolle Vergleichsbasis, ein tertium comparationis gegeben? 

Talbot...