Wunder gibt es immer wieder
Gemeckert wird immer, überall. Auch im Theater. Da es aber keine Geißen und Böcke sind, die das Saarländische Staatstheater bevölkern, sondern altmodisch gekleidete Lämmlein (des Herrn?), verwandelt sich das Gemecker noch vor dem ersten Ton in gackerndes Geblöke. Durch die Türen schleicht die Prozession der (Statisten-)Tiere gen Bühne, von einer Live-Kamera, die auch die folgenden drei Stunden das Geschehen bildmächtig «dokumentiert», auf eine Leinwand übertragen, nicht ohne den einen oder die andere im Publikum persönlich zu begrüßen.
Ein amüsantes Entrée, das seinen Charme auch noch während der Dur-erfüllten, von Flötengezwitscher, mildtönenden Klarinetten und sehnsuchtsvoll singenden Streichern begleiteten «Morgenstimmung» beibehält. Kaum aber trübt elegisches, über unheilverkündendem Tremolo wohnendes Moll die Ouvertüre zu Tschaikowskys «Jungfrau von Orléans», verwandelt sich das Bild: Die Dämonen kommen, in Gestalt eines Wolfes, der die Schafe reißen will (dann aber von der alles andere als heiligen Johanna erdolcht wird). Da helfen auch der in Es-Dur getünchte Liebestriumph und die anschließende G-Dur-Pastorale wenig: Die Gefahr, sie lauert. Gewalt ist im Raum, und die Natur, ...
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Opernwelt Juni 2024
Rubrik: Im Focus, Seite 4
von Jürgen Otten
Sie sind einander nahe. Sehr nahe: der Tod und das Mädchen. Nur wenige Zentimeter trennen sie, ein winziger synaptischer (Licht-)Spalt, und würde es mit rechten Dingen zugehen, wäre das Spiel, kaum ist die Stille nach den Schüssen eingetreten, vorbei und würde der Tod das Mädchen in seine Arme schließen. Doch kaum hat sich jene Falltür geöffnet, unter der Manuel...
An Rusalka scheiden sich die Geister. Weniger jedoch am Bühnenwerk gleichen Namens, sondern vor allem an dessen Titelheldin selbst, der schüchtern-schönen Schwester Undines und Melusines. Was bitte soll man machen mit einer Nymphe, die man sich heutzutage nur mühsam auf schweren Schwanzflossen über eine Bühne gleitend vorstellen kann? Welches «Bild» wäre wohl...
Zwei Begriffe vor allem stehen, gleichsam interaktiv, für den Musikbetrieb: Repertoire und Publikum. Denn was sich durchgesetzt hat, wird auch geliebt, und was beliebt ist, zum Programm. Beiden Tendenzen liegt das Missverständnis zugrunde, das «zeitlos Gültige» setze sich ohnehin durch. Die Wirklichkeit freilich sieht anders aus. Noch vor 100 Jahren galt Schubert...