Wie ein zuvor nie dagewesener Ton
Was für ein poetisches Bild. Eine Frau sitzt versonnen an einer Orgel, die Rechte sanft auf die Tasten gelegt, sie scheint darüber nachzudenken, wie der Ton, den sie gleich anschlägt, klingen möge, was er auslösen, bewirken könnte in all seiner Flüchtigkeit, Resonanz und (möglichen) Kontingenz. Oder ob nicht vielleicht nicht dieser einzige Ton imstande wäre, die Welt für eine Sekunde zu ver-rücken, frei nach dem Vorbild von John Cages Halberstädter Projekt. Seine Faszination gewinnt dieses Bild aber auch daraus, dass es nicht irgendeine Frau ist, die dort sitzt.
Es ist Elfriede Jelinek, die große Worterfinderin und erfolgreiche Streiterin für ein entsubjektiviertes Sprechen.
Ihre Theaterstücke (besser: Gedanken-Steinbrüche) gleichen Partituren, die sich erst während der Aufführung in (klingende) Materie verwandeln; sie verkörpern «die ästhetische Idee eines zusammenhängenden Ganzen einer unnennbaren Gedankenfülle» (Kant) und sind als solche selbst schon Musik. So überrascht es auch nicht, dass der Band «TEXT.NOTATION.PERFORMANCE», der die Ergebnisse eines vom «Interuniversitären Forschungsverbund Elfriede Jelinek» der Universität Wien durchgeführten Projekts präsentiert, sich zwar ...
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Opernwelt März 2022
Rubrik: BUCH des Monats, Seite 29
von Jürgen Otten
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