Verlust und Vergnügen

Barrie Kosky liest Händels «Saul» in Glyndebourne als Parabel auf die Georgian Era

Opernwelt - Logo

Händels Oratorium «Saul» hat seit jeher das Zeug zu bühnenwirksamem Musiktheater gehabt. Bei der Uraufführung im Londoner King’s Theatre 1739 konnte das Publikum neben dem Libretto von Charles Jennen auch szenische Anweisungen im Programmheft studieren.

In Glyndebourne entführt Barrie Koskys Inszenierung der alttestamentarischen Fabel um Missgunst und Neid in eine kontrastreiche Welt, die die Licht- und Schattenseiten des georgianischen London drastisch hervorkehrt, indem sie die Lustbarkeiten des Vergnügungsparks Vauxhall Gardens mit dem psychiatrischen Elend von «Bedlam» (dem berüchtigten Bethlem Royal Hospital) konfrontiert – und schonunglos öffentliche Schmach und Demütigung gleich neben der Volksbelustigung anrichtet.

Der Chor der Israeliten, von Ausstatterin Katrin Lea Tag in bunte, punkig-barocke Seidenkostüme gekleidet, erinnert in seinem flatterhaften Gebaren an den Höflingschor, den Kosky in seiner Frankfurter Inszenierung von «Dido und Aeneas» eingesetzt hatte; auch John Graham Hall als Hexe von Endor, ein Bartmann mit den verschrumpelten Brüsten einer alten Frau, lässt an die Bildsprache in Koskys Frankfurter Lesart der Purcell-Oper zurückdenken. Im Schulterschluss mit ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Opernwelt-Artikel online lesen
  • Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Opernwelt September/Oktober 2015
Rubrik: Magazin, Seite 82
von Anna Picard

Weitere Beiträge
Mit Bayreuth wird man nie fertig

I.

Ist er es? Sitzt er da wirklich wieder vor dem Weihenstephan? Dem Hotel nicht weit vom Bahnhof, in dem er, so erzählt man in Bayreuth, jedes Jahr zur Festspielzeit absteigt? Ja, er ist es wirklich. Ein wenig missmutig blinzelt René Kollo (77) in die Sonne. Diese Hitze! Den Rotwein hat er fast geleert, die Zigarre ist fast aufgeraucht. Nur noch eine Stunde bis...

Die Lehrerin, die nie vorsang

Darüber, ob Franziska Martienßen-Lohmann (1887–1971) die bedeutendste Gesangspädagogin des 20. Jahrhunderts war, kann man streiten. Der Superlativ hat etwas Zwanghaftes. Dass sie die einflussreichste Gesangslehrerin des Jahrhunderts war, steht dagegen außer Zweifel. Durch ihre sechs, oft in mehreren Auflagen erschienenen Bücher sowie durch zahlreiche Aufsätze,...

Gesundgeschrumpft?

Die Caracalla-Thermen in Rom haben schon einiges erlebt. Ihr Erbauer Kaiser Caracalla – er regierte im dritten Jahrhundert und hieß eigentlich Lucius Septimius Bassianus – ging als Terrorregent in die Geschichte ein. Im sechsten Jahrhundert zerstörten die Goten die Wasserzufuhr und machten dem Badebetrieb ein Ende. Renaissance-Päpste brachen die Marmorverkleidung...