Über den Dächern von Paris

Hindemith II: Gerhard Rohde über André Engels und Kent Naganos kühl-elegante «Cardillac»-Deutung an der Opéra National

Die Riesenbühne der Pariser Bas­tille-Oper lädt zu großen Bild­visionen ein. Warum nur, wie’s im Textbuch steht, eine enge nächtliche Straße mit schäbiger Taverne im Hintergrund, wenn man sich gleichsam das ganze Paris in Form einer Landschaft aus Dächern, Kaminen, hohen Mietskasernen im Hintergrund und unter einem nachthellen Himmel auf die Szene zaubern kann? Nicky Rietis bildnerische Fantasie schwelgt in Film­erinnerungen.

Im Krimikino spielten die Dächer von Paris oder Nizza oder Marseille schon oft die Hauptrolle, warum also nicht auch zur Abwechslung einmal in der Oper, besonders wenn es sich um einen Krimi handelt wie bei Hindemiths «Cardillac»? Das Pariser Pub­likum, das die neue ­In­szenierung förmlich stürmte, war von der Optik der Aufführung entzückt. Wer wollte da mäkelig sein und das mühsame Herumstolpern der Akteure auf dem zerklüfteten «Dach»-Boden bemerken? Die meis­ten solcher effektmachenden Bildeinfälle behindern eher das Spiel, als es zu befördern. Der Versuch des Goldschmieds Cardillac, den Offizier, der ihm seine Kette abgekauft hatte, zu erstechen, scheiterte nicht nur an der Reaktionsschnelligkeit des trainierten Kämpfers, sondern auch an den vielen Luken, ...

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Opernwelt November 2005
Rubrik: Im Focus, Seite 14
von Gerhard Rohde

Vergriffen
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