Trunkenheit ohne Wein
Er glaube nicht, so bemerkte Hans Zender in einem Gespräch über Aufführungspraxis und Interpretationsgeschichte, «dass ein Interpret danach streben muss, das Original zu rekonstruieren». Vielmehr müsse sich seine Tätigkeit darauf richten, «etwas neu entstehen zu lassen».
Anlass für diese (scheinbar radikale) Absage an den seit Beethoven und Wagner kodifizierten Werkbegriff war seine «komponierte Interpretation» von Franz Schuberts «Winterreise» für Tenor und kleines Orchester: uraufgeführt 1993, aufgenommen von Hans Peter Blochwitz (1994) und Christoph Prégardien (1999) und nun wieder von dessen Sohn Julian im Rahmen eines faszinierenden Projekts. Im Januar 2016 rief Prégardien eine «Medienplattform für Aufführungspraxis» ins Leben: P.RHÉI – Signet für die auf Heraklit zurückgehende Formel «Alles ist im Fluss» (siehe OW 2/2017). Prégardien geht es um die Frage, welchen Veränderungen ein Musikwerk im Laufe der Zeit unterworfen ist. Ausgangspunkt sind zwei Aufführungen des Zyklus: Am 28. November 2015 orientierten sich Prégardien und sein exzellenter Klavierpartner Michael Gees an der Aufführungspraxis bzw. den Programmgestaltungen des 19. Jahrhunderts; am 22. Januar 2016 ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein

- Alle Opernwelt-Artikel online lesen
- Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Opernwelt Mai 2017
Rubrik: Hören, Sehen, Lesen, Seite 26
von Jürgen Kesting
Der Mann, der sich Parsifal nennt, leidet an Realitätsverlust, was beim Patienten einer Nervenheilanstalt nicht überrascht. «Wie dünkt mich doch die Aue heut’ so schön», schwärmt er angesichts des jugendstilaffinen, aber kitschig-banalen Landschaftsbildes in Pastell, das da auf einen aus dem Schnürboden herabgefahrenen Hänger projiziert wird. Und der diensthabende...
Es geht ihm durchaus um Schönheit, Wahrheit, musikalische Logik, nicht jedoch um Konsens und Konsum. Lange haftete Helmut Lachenmann das Etikett des Zerstörers, Verweigerers, des «Geräuschkomponisten» an. Noch bei der Uraufführung seines «Mädchens mit den Schwefelhölzern» 1997 in Hamburg polemisierte der «Spiegel» unverhohlen. Inzwischen wurde das Stück in ganz...
Der knapp zwei Jahrzehnte ältere «Palestrina» von Hans Pfitzner inkorporiert eigentlich eher die Grünewald’sche Flügelaltar-Gestalt. Aber eine deutliche Zeitspanne nach dem Ersten Weltkrieg war ein symmetrisch gebauter Dreiakter auch als Wagner-Reminiszenz obsolet. Hindemiths «Mathis der Maler» ähnelt also mehr dem offeneren dokumentarischen Stil von Mussorgskys...