Trost im Todestrakt
Mit über 50 Produktionen seit seiner Uraufführung im Jahr 2000 an der San Francisco Opera arbeitet sich Jake Heggies Erstlingswerk für das Musiktheater zielstrebig ins Repertoire vor. Am Staatstheater Braunschweig setzt sich diese Erfolgsgeschichte von «Dead Man Walking» nun fort. Die Oper fußt auf den Erinnerungen der katholischen Ordensschwester Helen Prejean, die als Seelsorgerin Delinquenten bis zu deren durch die Justiz angeordnete Tötung Beistand leistete. Zuvor hatte Prejeans Buch bereits einen packenden Hollywoodstreifen in der Tradition des Gerichtssaal-Dramas inspiriert.
Heggie und sein Librettist, der im März 2020 an Covid-19 verstorbene Terrence McNally, zeigen hingegen den persönlichen Weg, den die Nonne und der zum Tode verurteilte Joseph De Rocher miteinander beschreiten. Daran, dass der Mann ein Mörder ist (er hat eine halbwüchsige Schülerin brutal vergewaltigt und erstochen), lässt der Prolog der Oper nicht den geringsten Zweifel.
Regisseurin Florentine Klepper schildert die bestialische Tat eher verhalten und situiert sie in der Tiefe der Bühne. Dennoch wird deutlich, dass eben nicht das pragmatische Argument möglicher Fehlurteile gegen die Todesstrafe spricht. ...
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Opernwelt März 2022
Rubrik: Panorama, Seite 41
von Michael Kaminski
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