Molto Moderato
Alles fließt, alles strömt dahin. Die Geschichte, die Bilder, die Inszenierung. Tom Cairns hat nach rund einem Vierteljahrhundert im vergangenen Sommer die erste neue «Traviata» für das Glyndebourne Festival inszeniert (siehe OW 9/2014). Doch leider fehlt der Produktion jeder Fokus: auf Gesellschaftskritik, auf die Welt des Geldes und Scheins, auf die privaten Katastrophen. Vieles verharrt, von Austatterin Hildegard Bechtler moderat in die Gegenwart transferiert, im Gefälligen, stimmungsvoll beleuchtet.
Ähnlich moderat die musikalischen Farben.
Michael Fabiano gestaltet Alfredo als jungen, naiven Verliebten; kein Feuerkopf, kein Visionär, weder darstellerisch noch sängerisch. Tassis Christoyannis, der Germont père, steht für ein Dazwischen: nicht balsamisch, nicht autoritär. Man nimmt dem Mann nicht wirklich ab, dass die Würde jederzeit in Hartherzigkeit umschlagen kann. Eher ein umgänglicher Typ als einer, der Schicksalsfäden spinnt. Zumal es der Baritonstimme an Tiefe fehlt, an Wärme, Volumen, Schattierungen. Unter den Primarii sticht Venera Gimadieva hervor. Ihr Sopran überzeugt durch Präsenz und Strahlkraft, ebenso durch kluge Steigerungen, er klingt elastisch und geschmeidig, ...
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Opernwelt September/Oktober 2015
Rubrik: Hören, Sehen, Lesen, Seite 47
von Christoph Vratz
Von der Londoner Wigmore Hall zum Burlington House braucht es kaum eine halbe Stunde gemütlichen Spaziergangs. Alljährlich beherbergt Letzteres die Sommerausstellung der Royal Academy of Arts, und das seit 247 Jahren. Die Show ist einzigartig in ihrer Mixtur aus Werken professioneller und dilettierender Künstler (12 000 Bewerbungen hat die in diesem Jahr von...
Vielseitigkeit oder Risikofreude sind auf dem gegenwärtigen Sängermarkt selten zu finden. Intendanten und Besetzungsbüros können sich immer weniger Experimente leisten. Das heißt: Wer gut ist in einer Rolle, wird immer wieder für diese Rolle engagiert. Für die Spielpläne mag das ein Sicherheitsfaktor sein, für die Stimmen bedeutet es eine Gefahr. Denn die...
Händels Oratorium «Saul» hat seit jeher das Zeug zu bühnenwirksamem Musiktheater gehabt. Bei der Uraufführung im Londoner King’s Theatre 1739 konnte das Publikum neben dem Libretto von Charles Jennen auch szenische Anweisungen im Programmheft studieren. In Glyndebourne entführt Barrie Koskys Inszenierung der alttestamentarischen Fabel um Missgunst und Neid in eine...