Liebe macht blind

Mozart ist immer für Überraschungen gut. Das Interesse an seiner späten Seria «La clemenza di Tito» gehört zu den bemerkenswerten Phänomenen im noch jungen Mozart-Jahr. Nach Aachen und Potsdam haben nun Oldenburg, Düsseldorf und Frankfurt den melancholischen Herrscher auf der Bühne befragt – teils psychologisierend, teils verrückt, teils einfach gut. Filmregisseure in der Oper: eine Dauerthema derzeit, nicht nur, aber auch bei Mozart. Michael Haneke gelingt beim «Don Giovanni» in Paris kein großer, aber ein respektabler Wurf. Doris Dörrie lässt «La finta giardiniera» bei der Salzburger Mozart-Woche in einem poppig bunten Gartengroßmarkt spielen. Auch Joachim Schlömer bleibt mit seiner «Così»-Exegese in Hannover unter der Bestmarke. Eine (nicht nur musikalisch) brillante Neuproduktion des Stücks ist dagegen in Brüssel zu erleben. Weitere Mozart-Premierenberichte kommen aus Dresden, Graz, Hannover, Leipzig, Mainz und Wien. Abgerundet wird unser Thema durch eine kritische Bestandsaufnahme neuer Mozart-Literatur – eine tour d’horizon, die nicht zuletzt die schönsten Blüten der zum Jubiläum verfassten Mozart-Belletristik pflückt.

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Tito liebt Berenice, muss aber aus Gründen der Staatsräson auf sie verzichten. Sesto, Titos engster Freund, ist Vitellia hörig. Für diese aber, die Tochter des gestürzten Imperators Vitellius, ist Liebe eine kalte Zweckbeziehung – sie möchte auf den Thron, einerlei ob durch die Heirat mit Tito oder einen erfolgreichen Umsturzversuch Ses­tos. Die Rede ist von Mozarts letzter Oper «La clemenza di Tito», die im neuesten Bärenreiter-Set der Studienpartituren endlich «Die sieben großen Opern» voll macht – eine Entwicklung, die im Mozart-Jahr 1956 niemand vorauszusagen gewagt hätte.

Theatralisch laboriert das Werk allerdings noch immer am eingefahrenen Vorurteil der angeblich lustlos heruntergeschriebenen, zudem ästhe­tisch überholten, weil ein altes Seria-Libretto Pietro Metastasios mehr schlecht als recht kaschierenden Fest­oper für die Prager Krönungsfeierlichkeiten Kaiser Leopolds II. Mozarts Librettist Caterino Mazzolà hat den Intrigenmechanismus der barocken Haupt- und Staatsaktion Metastasios samt deren politisch-juristischem Subs­trat drastisch beschnitten, die Figuren vom Podest geholt und durch ein Wechselbad der Gefühle empfindsam verbürgerlicht. Zum Fürs­tenspiegel taugt die ...

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Opernwelt März 2006
Rubrik: Thema, Seite 28
von Uwe Schweikert

Vergriffen
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Die ewigen letzten Fragen, sie sind auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch für eine Oper gut. Nicht, dass die Mär von Doktor Faustus, in vielen Drehungen und Wendungen vom leibhaf­tigen Mannsbild des fünfzehnten Jahrhunderts (Georg Faust aus Knittlingen) zur Volkssage und schließlich zu einem der meistverhandelten Topoi der abendländischen Literatur avanciert, in...

Verwirrte Gefühle

Kaum vorstellbar: eine Auffüh­rung des «Figaro» mit deutschen Dialogen oder die «Entführung» mit Secco-Rezitativen auf Ita­lienisch. Im Falle von Mozarts «La finta giardiniera» gibt es extreme Fassungsunterschiede: Für Augsburg (1780) hat Mozart das Stück als Singspiel mit gesprochenen deutschen Texten autorisiert. Dass beide Versionen freilich nur zwei Seiten...