Kosmisch komisch
Der Urknall gebiert erdfernen Nebel, aus dem Sterne und Galaxien in den Raum schießen. Die Videoprojektion während des Vorspiels zu Richard Wagners «Tristan und Isolde» am Nationaltheater Mannheim scheint die Tragödie des liebenden Paares zu einem kosmischen Weltendrama zu machen. Doch als sich der Vorhang hebt, landet man nach diesem Sehnsuchtsflug durchs All in einem bürgerlich möblierten Schiffsbauch.
Das Boudoir der von Tristan zwecks Zwangsheirat mit seinem Oheim Marke aus Irland nach Cornwall überführten Isolde ist brav ausgestattet mit Bett, Giftschränkchen, Tisch und Stühlen sowie einer mit Kissen garnierten Kistenbank: solide-gemütliches «Arts and Craft»-Mobiliar. Mit ihrer Dienerin Brangäne als Gouvernante gleicht Isolde einem Backfisch auf der Grand Tour nach Europa – als sei Wagners metaphysische Handlung in drei Akten nicht eine Amour fou, sondern nur ein englischer Sittenroman aus dem 19. Jahrhundert. Optisch erinnert das jedenfalls mehr an den Film «Zimmer mit Aussicht» als an die «Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik».
Im zweiten Akt sehen wir ein nächtliches Parkbild mit Picknickkissen, einem Korb voller Trauben, Sektkelchen, Sitzecke und einer Schaukel, ...
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Opernwelt Januar 2022
Rubrik: Panorama, Seite 53
von Bernd Künzig
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