Ganz alte Schule

Zum Tod des italienischen Dirigenten Nello Santi

Für manche wird er immer derjenige bleiben, der rabiat auf einen meuternden Zuschauer reagierte. Im Frühjahr 1982 war das, an der Bayerischen Staatsoper. Als der junge Mann den «Aida»-Applaus mit Buhs beschmutzte, eilte Nello Santi ins Parkett, um dem Störenfried eine Ohrfeige zu verabreichen. Der Hieb kostete den Dirigenten laut Gerichtsbeschluss 6000 Mark, nie aber die hohe Reputation. Und je älter er wurde, desto weniger wollte die Szene zu ihm passen.

In den Jahrzehnten darauf ähnelte der zunehmend füllige italienische Maestro dem dirigierenden Richard Strauss: Mit der Rechten lotste er Musiker und Sänger klar, staunenswert strukturbewusst und unbarmherzig auf Genauigkeit bedacht durch die Partitur, die Linke deutete minimale Agogik an. Besonders viel erreichte Santi über Augenkontakt. In die Partitur blicken musste er nicht, er hatte ein fotografisches Gedächtnis. Auch deshalb war er so beliebt bei Sängern. Santi war in jedem Takt bei ihnen, konnte tragen und führen, auch über knifflige Scharnierstellen hinweghelfen und Unsicherheiten sekundenschnell korrigieren. Ganz alte Kapellmeisterschule war das. Etwas Schmuckloses, fast Schroffes hatten viele von Santis Aufführungen. ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Opernwelt-Artikel online lesen
  • Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Opernwelt April 2020
Rubrik: Magazin, Seite 73
von Markus Thiel

Weitere Beiträge
Über Grenzen hinweg

Barrie Kosky führt ein Doppelleben. Tagsüber ist er Chef der Komischen Oper Berlin, abends zieht es ihn, wann immer seine Zeit es erlaubt, ans Klavier. Als «Barpianist» spielt und singt er sich dann durch jiddische Operettenmelodien der 1920er-Jahre. Das Faible, weithin Vergessenes für die Öffentlichkeit wiederzuentdecken, zählt zum Markenzeichen seiner Berliner...

Radikal pessimistisch

Der Herr ist unsichtbar. Aber man kann ihn hören. Ihn und seinen in g-Moll gefassten Ingrimm. Denn Gott ist außer sich vor Zorn. Und lässt nun diesem freien apokalyptischen Lauf. Während auf Dirk Beckers unwirtlicher Bühne, die im Verlauf des Abends aus schlichtweißen Resopaltischen immer wieder raffinierte Konstellationen kreiert (Laufsteg, Küche, Verhörraum,...

Er will nur spielen

Hamburgs Pech ist Stuttgarts Glück. Als ein Nachfolger für Simone Young gesucht wurde, die ihren 2015 auslaufenden Vertrag als Generalmusikdirektorin der Hamburgischen Staatsoper nicht verlängern wollte, hatte man bald Cornelius Meister im Blick, damals Chefdirigent des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien. Melomane Hanseaten, die einflussreicher waren, als ihr...