Erstickt
Müll, Müll, überall Müll. Sperrgut, Dreck, Schrott, Waschmaschinen, zerfetzte Sofas, ein Supermarkteinkaufswagen, mittendrin ein mächtiger toter Baum auf der Bühne des Nationaltheaters Mannheim. Lemurenhafte Gestalten, einige tragen Gasmasken, streifen herum, suchen Nahrung. Verheerungen eines Kriegs. Der Dreißigjährige im 17. Jahrhundert war das Trauma der Deutschen vor dem Zweitem Weltkrieg und der Shoah. In manchen Landstrichen, etwa in Süddeutschland, überlebte nur ein Drittel der Bevölkerung.
Jakob Christoffel von Grimmelshausens Roman «Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch», eine pikareske Chronik dieser Entmenschlichung, lieferte 1934 die Idee zu Karl Amadeus Hartmanns Oper «Simplicius Simplicissimus». Der Komponist selbst gab den Hinweis auf die Parallele des barocken Stoffs zu seiner Zeit, zur Machtübernahme der Nazis, zu anbrechender Gewaltherrschaft. Kurz zuvor war Hartmanns erste Symphonie entstanden, Worte von Walt Whitman verwendend: «Ich sitze und schaue aus auf alle Plagen der Welt und auf alle Bedrängnis und Schmach …» Der «Simplicius» entstand für die Schublade, das wusste Hartmann. Trotzdem schrieb er das Bekenntniswerk – und ging in die innere Emigration. ...
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Opernwelt August 2021
Rubrik: Panorama, Seite 46
von Götz Thieme
Die Götter tragen Weiß. Blütenreines, blitzsauberes Weiß. Sieht wirklich gut aus: schick, elegant, lässig. Vielleicht ein bisschen überkandidelt. Aber Götter dürfen dergleichen. Gilt doch für sie, mehr noch als für uns Irdische und ihrem Selbstverständnis nach die von Immanuel Kant in seiner «Kritik der reinen Vernunft» entwickelte Idee, derzufolge Raum und Zeit...
Stimmgewaltig
Dass ihr Sopran Mauern zu sprengen imstande ist, wusste man spätestens seit ihrer Médée in Wexford 2017. Dass Beethovens Leonore, Verdis Heroinen und die schweren Wagner-Partien eine dominierende Rolle spielen würden, eigentlich auch. Doch Lise Davidsen, die bei den Bayreuther Festspielen die «Walküren»-Sieglinde singen wird, kann noch viel mehr. Ein...
«Theater muss sein.» So euphorisch und provokant (weil Theater eben Geld kostet) hat es der Deutsche Bühnenverein Ende der 1990er-Jahre propagiert, mit dem neckisch auf einem Punkt tänzelnden T. Die Aussage wurde seither immer wieder diskutiert ‒ besonders verzweifelt während der Pandemie, in der das Theater als Ort gesellschaftlicher Diskurse über Nacht seine...