Der Wille zur Macht
Es ist nicht leicht, ein Zar zu sein. Vor allem dann nicht, wenn das eigene Volk in einem ziemlich heruntergekommenen Betonschacht mit Kronleuchter lebt. Das mit nahezu identischen blonden Scheitelfrisuren ausgestattete Kollektiv, vom neuen Chordirektor des Nationaltheaters Mannheim, Alistair Lilley, hervorragend einstudiert, lässt sich leicht manipulieren und erfleht Boris Godunow als gottgesegneten Herrscher förmlich herbei.
Wie eine zu groß geratene Schar infantiler Wesen hockt die Menschenkinderschar mit baumelnden Beinen auf den Seitenbänken und blättert in Bilderbüchern der gloriosen Vergangenheit. Letztlich ist «Boris Godunow» eine Oper dieses Kollektivs – wenngleich der Kom -ponist sein Werk noch nicht als «musikalisches Volksdrama» bezeichnet hat; das sollte er erst bei der späteren «Chowanschtschina» tun. Hier, im Pfalzbau Ludwigshafen, wird die infantile Masse unterdrückt, um am Ende in weißen, blutbespritzten Kitteln zu einer visionslosen Revolution anzutreten, deren Gewalt der puren Verzweiflung entspringt. Der herbeigesehnte Zar wird als riesiges Gesicht noch vor den ersten Takten der einleitenden Fagott-Linie als Vorhang-Projektion sichtbar. In seinen dunklen ...
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Opernwelt März 2024
Rubrik: Im Focus, Seite 16
von Bernd Künzig
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