Dead Jean Walking
Die erstaunlichste Erkenntnis beim Braunschweiger «Propheten» (wieder einmal): Die großen Opern Giacomo Meyerbeers sind zu machen, auch an Stadttheatern. Die Chorszenen packen unmittelbar. Die Partitur ist reich an Ohrwürmern. Nach 90 Minuten, sprich: nach dem dritten Akt, geht das in der zweiten Vorstellung nicht übermäßig zahlreiche Publikum den Triumphmarsch summend in die Pause. Die Gespräche drehen sich um die «herrlichen Melodien» dieses unbegreiflicherweise selten gespielten Stücks. Nach weiteren 75 Minuten, also nach dem fünften Akt, wird rhythmisch geklatscht.
An der Garderobe hört man Jeans Trinklied. Im Gästebuch bedankt sich manch ein Besucher für die «wunderbare Aufführung».
Die Grand opéra muss nicht auf große Oper machen, um zu funktionieren. «Le Prophète» entpuppt sich als Kammerspiel mit Chören (was man bei «Aida» längst entdeckt hat). Meyerbeers Anti-«Parsifal», der den Welterlöser als Demagogen entlarvt und dort anfängt, wo Wagner aufhört, indem er zeigt, was nach der Gründung einer Sekte alles schieflaufen kann, ist modernen Regiehandschriften nicht nur zugänglich, sondern ein gefundenes Fressen für sie. Wo kann man sonst so präzise und packend erleben, wie ein ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein

- Alle Opernwelt-Artikel online lesen
- Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Opernwelt Dezember 2014
Rubrik: Im Focus, Seite 18
von Boris Kehrmann & Stephan Mösch
Sie haben es wieder getan. Kammermusiktheater gemacht, im Weißraum zwischen Konzert und Oper, Sprechen und Gesang, Scherz, Satire und tieferer Bedeutung. Lustvoll flanieren die Neuen Vocalsolisten Stuttgart durch die entgrenzten Klangkunstlandschaften der Gegenwart. Immer auf der Suche nach unbekannten Lautgewächsen. Nach nie gehörten Tonblüten. Wann immer das...
Wolfgang Rihms Kammeroper «Jakob Lenz», Geniestreich des 27-Jährigen, deren Handlungsgerüst Georg Büchners Erzählung folgt, gehört seit ihrer Uraufführung 1979 zu den meistgespielten Werken des modernen Musiktheaters. Ihr Erfolg beruht nicht zuletzt auf der moderaten Besetzung – drei Solisten, elf Instrumentalisten, sechs Vokalstimmen –, die auch kleineren Häusern...
Meyerbeer und die Grand opéra – in der Musikwissenschaft sind das inzwischen vielbeachtete und -bearbeitete Themen. Die Initialzündung gab 1991 ein Symposium in Thurnau. Seither vergeht kaum ein Jahr, in dem nicht mindestens eine Konferenz irgendwo auf der Welt speziell den Komponisten oder sein Genre in den Fokus nimmt. Zum 150. Todestag des Berliners taten das...