Beschädigung als Phänomen
Der Begriff «Belcanto» scheint auf vieles anwendbar – auch Hunde hat man schon so gerufen. Ihn wörtlich als Schöngesang zu übersetzen, ist unzureichend, denn eigentlich steht er für die haute cuisine der Gesangstechnik; im Vergleich dazu schmeckt das robuste Staudruck-Stemmen wie Currywurst. Zugleich repräsentiert dieser Begriff eine Periode der Musikgeschichte, in der solche Technik besonders gefordert war.
Mancher Sänger fällt gerade dort in die Fallgruben der Selbstgefälligkeit und bespiegelt sich in virtuoser Koloraturakrobatik.
Diese Gefahr wollte Diana Damrau in ihrem neuen Recital «Fiamma del Belcanto» unbedingt vermeiden. Es ging ihr nicht um «vokale Kunststückchen», erklärt das Booklet, sondern um Oper als Ausdruck einer inneren Wirklichkeit. Die Diva aus Günzburg, unterstützt durch das solide Orchester des Teatro Regio Torino unter Gianandrea Noseda, sucht die Brüche der Charaktere, die Verwerfungen der Seele auszuleuchten. Sie seziert mit Aplomb und vokaler Brillanz Frauenfiguren, die alle irgendwie beschädigt sind. Auch die nicht als typische Repräsentantinnen des Belcanto geltenden Verdi-Heroinen Luisa Miller, Amalia, Violetta sowie selbst Puccinis Mimì und ...
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Opernwelt Mai 2015
Rubrik: Hören, Sehen, Lesen, Seite 24
von Gerhard Persché
Das Neue altert schnell. Dennoch muss man vorsichtig sein, wenn man in einer Stadt wie Lüneburg einen Komponisten wie Paul Hindemith präsentiert, der einst als Bürgerschreck galt. «Neues vom Tage» hatte schon 1929 keinen nachhaltigen Erfolg – obwohl bei der Uraufführung Otto Klemperer am Pult stand. 1953 arbeitete Hindemith das Stück um, aber selbst eine englische...
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Täuscht es, oder hat Jules Massenet die Aktschlüsse seiner Werke tatsächlich zum Reinklatschen komponiert? In Paris funktioniert es. Die letzten Takte des «Cid» gehen bruchlos im Jubel eines kompositorisch zum Klatschen verleiteten Publikums auf. Man dürfte früher noch stärker derlei Ritualen gefolgt sein – als man sie noch gewohnt war. Der letzte «Cid», nachdem...
