Auf der Flucht

«Tristan und Isolde» an der Berliner Staatsoper: Dmitri Tcherniakov inszeniert Wagners «Handlung» zum zweiten Mal, für Daniel Barenboim ist es bereits die siebte Produktion

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Die Nacht der Liebe, sie ist Unter den Linden nicht Rausch, nicht Zauberspuk oder Krankheit, sondern eine Bedrohung. Ein Spiel, das Tristan nur zum Schein mitspielt. Weil es kein Entrinnen gibt aus dem Hause Marke. Weil Isolde nicht locker lässt, es wirklich ernst meint mit ihm, der am liebsten davongelaufen wäre. Zur Jagd mit der feierlaunigen Gesellschaft, die ihn eben noch wie ein Kokon umfangen hatte. Hinaus mit der Hörner Schall, fort von ihr, der Frau seines Chefs, die nicht lassen kann von der idée fixe, er sei die einzige, die wahre Liebe.

Den aus dem Vorspiel vertrauten, unerlösten, «seinen» Akkord, der Brangänes verzweifelt-schuldbeschwerte Warnungen grundiert («Des unseligen Tranks!»), womöglich hat er ihn heimlich im Nebenzimmer vernommen. Vielleicht auch die Erregung gespürt, die im Orchester schwillt, bevor er plötzlich aus der Deckung stürzt. Auf «stürmische Umarmungen» indes ist der Mann nicht vorbereitet. Geht erst mal Schampus holen, um sich Mut anzutrinken für die «hehrste, kühnste, schönste, seligste Lust». Ein flüchtiger Schwadroneur, der sich das Vokabular, den Tonfall der Ekstase überstreift wie sein Dinnerjacket. Ein aufgedrehter Charmeur, der wie ein ...

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Opernwelt April 2018
Rubrik: Im Focus, Seite 14
von Albrecht Thiemann

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