Angst und Vernunft
Angst ist ein schlechter Ratgeber, heißt es. Tatsächlich kann sie besonnenes Nachdenken, Abwägen, Urteilen verhindern. Doch vergessen wir nicht, dass Angst der erste Ratgeber der Menschheit war. Mehr noch: Sie ist die Elementarform von Gedächtnis. Etwas als Gefahr wahrnehmen heißt: Es erinnert an schon Erlebtes. «So etwas soll mir nicht noch einmal passieren», sagt die Angst. Sie hat als gedächtnisgestützter Gefahrenvermeidungsmechanismus begonnen. Vernunft ist kaum mehr als in Umsicht und Urteilskraft übersetzte Angst.
Vor Covid-19 Angst zu haben, ist völlig vernünftig. Das Virus erinnert an sämtliche Epidemien, die es schon gab: von der Pest bis zur Influenza im vergangenen Jahr. Es macht bewusst, was wir allzu gern verdrängen: dass die uralte Seuchenanfälligkeit immer noch nicht überwunden ist – trotz aller Hochtechnologie. Coronaviren gibt es schon lange. Aber Covid-19 ist anders als die anderen: hoch infektiös, für etliche Prozent der Infizierten tödlich und in seinen Eigenschaften noch viel zu wenig bekannt. Gefahren, die keine fassbare Gestalt annehmen, sind besonders angsterregend. Daran ist nichts Irrationales.
Berechtigten Anlass zur Angst geben auch die gravierenden ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein

- Alle Opernwelt-Artikel online lesen
- Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Opernwelt Juli 2020
Rubrik: Focus Spezial, Seite 16
von Christoph Türcke
Herr Manacorda, Sie haben im Frühjahr, kurz vor Ausbruch der Corona-Krise, am Brüsseler Théâtre La Monnaie noch Mozarts drei Da-Ponte-Opern als zusammenhängenden Zyklus dirigiert, den Jean-Philippe Clarac und Olivier Delœuil als verzahnte Fortsetzungsgeschichte erzählen. Wie lange haben Sie sich auf dieses Experiment vorbereitet?
Insgesamt mehr als zwei Jahre! Ein...
Wer nach einem merkantil verwertbaren «Mythos» sucht oder nach der Verbindung von Künstlertum und Glamour, geht bei diesen Dirigenten fehl. Weder Bernard Haitink noch Mariss Jansons hatten je etwas mit den Selbstinszenierungen eines Herbert von Karajan (dem Jansons 1970 assistierte) gemeinsam; und nichts liegt in ihrem Fall ferner als der Guru-Habitus eines Teodor...
Der Satz ist Legende. Vielfach zitiert, je nach Kontext in dieser oder jener Weise gedeutet, von Dialektikern aufgrund seiner Wandelbarkeit hochgeschätzt. Und vielleicht hatte sein Autor genau dergleichen im Sinn, als er im 15. seiner Briefe «Über die ästhetische Erziehung des Menschen» diese kunstvolle Formulierung zu Papier brachte: «Der Mensch spielt nur, wo er...