Zwei Schwestern
Zwei Frauen. Wenig scheint sie zu einen, zu grundverschieden sind ihr Charakter, ihre soziale Stellung auf den ersten Blick.
Hier die stolze trojanische Königstochter, Schwester (unter anderem) des Helden Hektor und des Schönlings Paris, welcher Apollon die seltene Gabe der Weissagung schenkte, sie aber, nachdem Kassandra sein erotisches Begehren brüsk abgewiesen hatte, mit dem Fluch versah, niemand würde je ihren Prophezeiungen Glauben schenken; dort die verwöhnt-überspannte, geschwisterlose Grafentochter, der die Tore zur Welt offenstehen, die sich aber in ihrem ohnehin höchst ambivalenten Verlangen nach dem Diener Jean heillos verrennt. Und doch gibt es etwas, das ihnen beiden eingeschrieben ist: das Verrückt-Sein, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass Kassandra nur als verrückt gilt, während Julie tatsächlich eine Traviata ist, eine vom Weg abgekommene.
In Philippe Boesmans‘ Kammeroper von 2005, die ihren Namen trägt, aber auf das vorangestellte «Fräulein» der Vorlage, August Strindbergs sozialkritischem Trauerspiel aus dem Jahr 1888, verzichtet, besteht mit den ersten Worten der Köchin Christine (die bei Strindberg verniedlichend «Christel» heißt), kein Zweifel ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
- Alle Opernwelt-Artikel online lesen
- Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen
Opernwelt November 2023
Rubrik: Im Focus, Seite 16
von Jürgen Otten
Wer je auf dem Gipfel eines Dreitausenders (also eines auch für Normalsterbliche mit geeignetem Schuhwerk erklimmbaren Berges) gestanden und den herrlichen Blick von dort oben genossen hat, der weiß, dass das Wandern nicht nur des Müllers Lust ist, sondern eine enorme Bereicherung darstellen kann. Im besten Fall muss der Nachfahre von Wilhelm Müllers traurigem...
Als Volkstheater war das heutige Staatstheater am Gärtnerplatz konzipiert, als es 1865 in München eröffnet wurde. Seitdem hat es wechselhafte Geschicke durchlaufen, aber als Faustregel galt immer: Dem Haus ging es umso besser, je stärker es sich schon im Repertoire von der größeren, finanziell bessergestellten Bayerischen Staatsoper in derselben Stadt absetzte. Je...
Was ist sie doch für ein elegantes Räderwerk, diese Olympia, ein Spielzeug, das selbst spielen will. Mit seinen langen Fangarmen greift es nach dem Künstler und schwingt ihn rund um die eigene Achse. Es beglückt ihn wie die Blumen, die Vögel, die Herzen, die aus den Brüsten und aus tiefer gelegenen Körperregionen schießen im zweiten Akt von «Les contes d’Hoffmann»...