Wirklichkeit und Wahn
Kürzlich ist postum der dritte Band von Günther Rühles «Theater in Deutschland» erschienen. Wie in den vorangehenden Bänden fordert der renommierte Kritiker und Intendant in seiner Theatergeschichte, dass in Inszenierungen die Gegenwart für den Zuschauer spürbar sein müsse; ohne Zeitbezug verlöre das Theater Relevanz. Dass das einem heiklen Balanceakt gleicht, ist täglich in deutschen Schauspielund Opernhäusern zu erleben. Allein, um aktuell zu sein, genügt es nicht, den Text, eine Partitur mit Gegenwartschiffren zu illustrieren. Die Folie des Politischen ist ästhetisch rissig.
In dieser Hinsicht verzichtete die Neuproduktion von Mussorgskys Oper «Boris Godunow» an der Mailänder Scala auf naheliegende Anspielungen an das zerbrochene Verhältnis von Europa und Russland nach dessen Angriff auf die Ukraine. Derart unsensibel gegenüber den Zeitläuften hätte Kasper Holtens Inszenierung andererseits nicht ausfallen müssen. Der Krieg spielte kurz vor der Premiere immerhin realpolitisch eine Rolle. Andrej Kartysch, der ukrainische Konsul in Mailand, warf dem Scala-Intendanten Dominique Meyer vor, mit der Aufführung russische Propaganda zu betreiben, und forderte die Absetzung des Werks. In ...
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Opernwelt Februar 2023
Rubrik: Im Focus, Seite 14
von Götz Thieme
Fangen wir diesmal mit dem Ende an. Puccinis letzte Oper bietet drei finale Lösungen. Die erste ist in der Aufführungsgeschichte des Werkes die meistgewählte, aber beileibe nicht die beste: Franco Alfanos apotheotische, affirmativ-apodiktische Ergänzung suggeriert einen Triumph der Liebe, den der Stoff beim besten Willen nicht hergibt; gleichsam ein lieto fine, das...
Um diesen Krieg der Königinnen stimmlich angemessen (und) überwältigend in Szene zu setzen, braucht es zwei Belcanto-Kaliber von annähernd identischer Strahlkraft. Zwar ist die titelgebende Maria Stuarda offiziell Donizettis Prima Donna, Elisabetta nur die Seconda, und offenbaren legendäre Besetzungen der Vergangenheit einen gewissen Prominenzvorsprung für die...
Menschen, Tiere – Sensationen? Nun ja, die großen Überraschungen sind im Verlauf der Geschichte, die beide Arten zusammenbrachte, ausgeblieben. Der Mensch hat das Tier entweder domestiziert oder getötet, das Tier den Menschen mit seinen Mitteln hier und da zur Räson zu bringen versucht. Annäherungen gab (und gibt) es immer wieder, vor allem Füchse schleichen sich...