Wenn Apollo predigt

Jossi Wieler, Sergio Morabito und der Dirigent Constantinos Carydis transferieren Glucks Kunst des Erhabenen virtuos ins Heute. «Alceste» als Stuttgarter Triumph, nicht zuletzt für Catherine Naglestad

Opernwelt - Logo

Glucks «Alceste», mit der Mozart, Cherubini, Berlioz und Wagner sich komponierend auseinander gesetzt haben, ge­hört zu den hochgerühmten, aber selten gespielten Schlüsselwerken der Operngeschichte. Gluck hat das im Stoff wie in der Anlage auf Euripides zurückgehende kultische Drama ursprünglich auf einen Text Calzabigis 1767 für Wien geschrieben und das Werk 1776 gemeinsam mit seinem französischen Librettisten du Rollet grundlegend für Paris überarbeitet.

Gemessen an den zeitgenössischen Erwartungen selbst der französischen Bühne ist es gewiss das radikalste Werk der Opernreform, weil es allen virtuosen Flitter der italienischen Seria ausmerzt und die Handlung ganz ins Innere verlegt. Wir werden zu Augen- und Ohrenzeugen ­einer Tat, die keinem äußeren drama­tischen Anlass, sondern einzig einem selbstgewählten Entschluss entspringt: Alceste möchte sterben, damit ihr Gatte leben kann. In der dramaturgisch schlüs­sigeren, aber musikalisch ­in­konse­quen­teren Wiener Fassung verzeiht Apollo dem liebenden Paar, wäh­rend Gluck und du Rollet für Paris auf die Lösung des Euripides zurückgegriffen haben, bei dem der wie aus einem Satyrspiel in die Tragödie hineinplatzende Herakles als Deus ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Opernwelt-Artikel online lesen
  • Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Opernwelt März 2006
Rubrik: Im Focus, Seite 6
von Uwe Schweikert

Vergriffen
Weitere Beiträge
Fliehende Zeit

Thornton Wilder veröffentlichte 1931 seinen Einakter zum Fest: «The Long Christmas Dinner». Darin bringt er ein Weihnachtsmenü auf den Tisch, das, streng genommen, neunzig Jahre dauert. Hier werden Handlungen, Ereignisse, Stimmungen eines knappen Jahrhunderts mosaikartig zusammengetragen; während die Ahnen auf der einen Seite die Bühne verlassen, kommen ihre...

Bitte keine Experimente

Es sind minus siebenundzwanzig Grad in Helsinki, der Schnee fällt schnell und schwer. Lange hält’s keiner draußen aus, schon gar nicht in Abendkleidung. Weil die Schneeberge empfindliches Schuhwerk ruinieren würden, hat die National­oper vorgesorgt: Schuhtaschen für jeden! An der Garderobe sitzen, hocken, stehen also rund zwölfhundert Menschen, um die Schuhe zu...

Szenen aus dem besetzten Wien

Die Idee ist bestechend, wiewohl sie Diet­rich Hilsdorf schon vor zehn Jahren als Urgrund seiner Auseinandersetzung mit Mozarts «Entführung» verwendet hatte, seinerzeit in Gelsenkirchen. Kein Harem irgendwo, sondern ein Saal eines Schlosses in der k. u. k.-Hauptstadt bildet den Spielort für seine In­szenierung. Dieter Richter hat ihm für Leipzig einen von der...