Verlorene Illusionen
Wenn der Vorhang aufgeht, betritt eine Frau in bodenlangem Rock die verwaiste, sparsam bebilderte Bühne. Es ist die verwitwete Gutsbesitzerin Larina, mit einem Köfferchen in der Hand, in dem sich die Erinnerungsstücke ihres Lebens befinden. Sie alle werden eine Rolle spielen – vor allem Puschkins Versroman «Eugen Onegin», der später in zahllosen Exemplaren herumliegt und weitergereicht wird.
Larina hat ihn in ihrer Jugend verschlungen, jetzt tut es ihre schwärmerisch veranlagte Tochter Tatjana, während die alte Amme Filipjewna Marmelade einkocht und sich Tatjanas jüngere, lebenslustige Schwester Olga an den Gesängen der Dorfbewohner erfreut. Allgegenwärtig wie das rote Buch ist auch die chromatisch abfallende Sequenz, mit der das Vorspiel einsetzt – im Tonfall elegischer Melancholie und fiebriger Erregung, der die Selbstaussprache wie die kruden Dialoge der Hauptfiguren auf eine Weise begleitet, dass man meint, unentwegt dieselben Klänge zu hören.
Sonja Trebes hat genau hingehört, sie inszeniert diese Ausweglosigkeit einer Oper ohne äußere Dramatik. Was wir sehen, ist das Psychogramm eines Seelendramas, der Ablauf eines kreisförmigen Geschehens, das keine zielgerichtete ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein

- Alle Opernwelt-Artikel online lesen
- Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Opernwelt November 2023
Rubrik: Panorama, Seite 54
von Uwe Schweikert
Es ist ein interessantes Experiment, das jüngst an der Opéra de Rouen Normandie angestellt wurde. In Zusammenarbeit mit dem Palazzetto Bru Zane, dem in Venedig beheimateten Zentrum für französische Musik der Romantik, brachte das Haus nach der Urfassung von Offenbachs «La Vie Parisiènne» im Jahr 2021 nun die Ur-«Carmen» heraus. Nicht in musikalischer Hinsicht:...
In Pesaro, der Geburtsstadt des Komponisten an der Adria, schlägt das Herz der internationalen Rossini-Pflege. Alljährlich spielt das Rossini Opera Festival (ROF) drei seiner 39 Opern, wobei 2023 einen gewissen Schlusspunkt setzt: Mit «Eduardo e Cristina» steht das einzige Bühnenwerk auf dem Spielplan, das hier noch nie gezeigt wurde. Zwar war die Oper bereits...
Als die Ruhrtriennale 2002 unter der Intendanz von Gerard Mortier als Kunstfestival für das Ruhrgebiet erstmals über die Bühne(n) ging, stellten sich dem Gründungsteam zwei Hauptaufgaben, an denen sich auch seine bislang sechs Nachfolger abgearbeitet haben: Wie lassen sich, erstens, die von der Industrie verlassenen Baudenkmäler von der Bochumer Jahrhunderthalle...