Träum weiter Mensch!
Das Licht geht aus, wie von Geisterhand setzen sich die Tasten des Flügels in Bewegung. In der Mitte des Raumes beginnt sich die kreisförmige Zuschauertribüne um die eigene Achse zu drehen. Langsam fährt das verblüffte Publikum an Podesten vorbei, auf denen mehrere Sängerinnen und Sänger in blau leuchtenden Perücken hinter halbdurchsichtigen Gaze-Schleiern sitzen – so die Ausgangssituation in Oscar Strasnoys Oper «Robinson» in der Regie von Anna Bergmann im alten Orchesterprobensaal der Staatsoper Berlin.
Ein Lageplan, der am Eingang verteilt wird, erklärt, was es mit den geheimnisvollen Gestalten auf sich hat. Sie heißen «Die Jugend», «Die Abweichung», «Der aus der Welt Gefallene», «Das Alter», «Die Vermittlung» und «Die Zukunft». Ein bisschen erinnert das an die Allegorien der Barockoper, wie man sie beispielsweise aus «L’incoronazione di Poppea» oder «Il trionfo del tempo e del disinganno» kennt. Doch im Vergleich zu den gewitzten Halbgöttern, die bei Monteverdi und Händel selbstbewusst die Fäden ziehen, sind die Charaktere bei Strasnoy eher traurige Figuren: Die Jugend (Johannes Wieners) entflieht mit 3D-Brille und Spielkonsole in virtuelle Welten («Liebes Netz, ich liebe ...
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Opernwelt April 2023
Rubrik: Magazin, Seite 77
von Anna Schors
Es sind Klänge wie aus dem Urgrund des Seins, die da im Vorspiel zum dritten Aufzug von Wagners Handlung aus dem Orchestergraben drängen. Diese Musik hat den Odem von warmem, lastend dampfendem, dunklem Humus, auf dem einst von Tristans Vätern die Burg Kareol erbaut wurde, die offenbar weit weniger ein Ort der rauschenden Feste ist, doch eher Blaubarts fensterlosem...
Leise rieselt der Schnee. Unablässig, dichter und dichter werdend, eine Stunde lang. Die Figuren müssen sich in dieser Winterlandschaft vorkommen wie der brave Hans Castorp aus Thomas Manns «Zauberberg», der sich bei einem Ausflug ins Gebirg’ zusehends verirrt und von den Schneemassen fast zugeschüttet wird. Eine Grenzerfahrung birgt auch Romeo Castelluccis...
Niemand kann den König spielen», lautet eine alte Theaterweisheit, das müssen die anderen tun. Sie gilt erst recht für den Hochstapler, auf der Bühne wie im wahren Leben. Also sitzt er in der Prager Staatsoper an einem Wirtshaustischlein, die Hose etwas zu hoch sitzend, aber durchaus elegant (schließlich ist er Schneider), die Füße leicht nach außen gestellt wie...