Schöner Schein
Draußen vor der Tür lockt die Freiheit, drinnen im Saal das pure Verlangen. Draußen blickt uns von zwei zehn Quadratmeter großen Bannern herab eine kühl-unantastbare Schönheit an und wirbt für das Eau de Parfum «Libre» eines renommierten Duftproduzenten, drinnen im Saal schaut uns eine alles andere als kühl-unantastbare Schönheit an und wirbt für das (fiktive) Eau de Parfum «Villain». Und das ist genau genommen schon das Problem dieses reizüberfluteten Abends.
Simon Stone bildet in seiner «Traviata»-Inszenierung im Palais Garnier die Welt so ab, wie sie ist, im Kleinen wie im Großen. Sein Paris ist das Paris der glitzernden Fassaden, wo Champagner fließt, wo die Mitglieder der Hautevolee feinen Smoking und schick-knappe Cocktailkleider tragen, wo Geld keine Rolle spielt, und wo die Kurtisane ein omnipräsenter Popstar mit lukrativem Werbevertrag ist, die nach Erfüllung ihrer Tätigkeit als Marke mit einer auf die Bühne geschobenen Limousine nach Hause gebracht wird. Die Kommunikation erfolgt via Short Message Service, alles wird in eiligstem Tempo erledigt: Gefühle, Geschäfte, Gemeinheiten. Schöne kalte Welt, videogeneriert, irre schnell und genauso irre schrill.
Nicht minder ...
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Opernwelt November 2019
Rubrik: Panorama, Seite 54
von Jürgen Otten
Im Programmheft zur Aufführung von Dvořáks «Rusalka» am Theater an der Wien findet sich «Undine geht», Ingeborg Bachmanns empfindsam bekümmerte und doch so kämpferische Erzählung von der Not eines unbehausten Geschöpfs. Worte als Ausdruck tiefer Traurigkeit: «Ich habe keine Kinder von euch, weil ich keine Fragen gekannt habe, keine Forderung, keine Vorsicht,...
Beau est noir et noir est beau – Schönheit ist schwarz, und das Schwarze ist schön.» Raunende Weisheiten dieser Art durchziehen das Textbuch zu «Macbeth Underworld», das der Schriftsteller Frédéric Boyer für Pascal Dusapin gedichtet hat. Boyer ist vertraut mit den alten, den ewigen Wahrheiten: Als Übersetzer hat er sich in die Bibel, die Bekenntnisse des heiligen...
Der Frankenstein-Stoff ist derzeit schwer en vogue: In der Nebenspielstätte «Tischlerei» der Deutschen Oper Berlin kam 2018 Gordon Kampes collageartiges Musiktheater zur Uraufführung, kurz darauf folgte auf Kampnagel (als Auftragskomposition der Hamburgischen Staatsoper) Jan Dvořáks Version, basierend auf einer Schauspielmusik, die er 2014 für das Theater Basel...