Schöner Schein
Draußen vor der Tür lockt die Freiheit, drinnen im Saal das pure Verlangen. Draußen blickt uns von zwei zehn Quadratmeter großen Bannern herab eine kühl-unantastbare Schönheit an und wirbt für das Eau de Parfum «Libre» eines renommierten Duftproduzenten, drinnen im Saal schaut uns eine alles andere als kühl-unantastbare Schönheit an und wirbt für das (fiktive) Eau de Parfum «Villain». Und das ist genau genommen schon das Problem dieses reizüberfluteten Abends.
Simon Stone bildet in seiner «Traviata»-Inszenierung im Palais Garnier die Welt so ab, wie sie ist, im Kleinen wie im Großen. Sein Paris ist das Paris der glitzernden Fassaden, wo Champagner fließt, wo die Mitglieder der Hautevolee feinen Smoking und schick-knappe Cocktailkleider tragen, wo Geld keine Rolle spielt, und wo die Kurtisane ein omnipräsenter Popstar mit lukrativem Werbevertrag ist, die nach Erfüllung ihrer Tätigkeit als Marke mit einer auf die Bühne geschobenen Limousine nach Hause gebracht wird. Die Kommunikation erfolgt via Short Message Service, alles wird in eiligstem Tempo erledigt: Gefühle, Geschäfte, Gemeinheiten. Schöne kalte Welt, videogeneriert, irre schnell und genauso irre schrill.
Nicht minder ...
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Opernwelt November 2019
Rubrik: Panorama, Seite 54
von Jürgen Otten
Naumburgs Hauptdarsteller ist seit jeher der romanische Dom. Dem liebevoll renovierten, aber nur selten besuchten Nietzsche-Haus bleibt nur eine Nebenrolle. Der Philosoph verbrachte dort die Jugendzeit und dann sieben Wahnsinnsjahre in mütterlicher Obhut. Er komponierte auch; gleichwohl mochte Hans von Bülow seinen Werken nur «den Wert eines Verbrechens»...
Trotzdem! Trotz aller Katastrophen, Niederlagen, Toten. Die Sehnsucht nach solidarischen, herrschaftsfreien Lebensformen, die individuelles mit dem Wohl aller versöhnen könnten, ist noch nicht aus der Welt. Auch wenn es angesichts der durch den Homo sapiens an den Rand des Kollapses gebrachten Natur, des immer härteren globalen Wettbewerbs um Ressourcen, der...
60. Jahrgang, Nr 11
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