Märchenhaft unergründlich
Er ist immer da. Kritzelt was an die Tafel hinter dem Schreibtisch. Greift sich ein Buch aus dem turmhohen Regal. Hockt faul im Liegestuhl am Meer. Kurvt auf dem Drahtesel durch die Sommerfrische. Schaut zwei jungen Damen beim Federballspiel zu. Fachsimpelt mit dem Mechaniker der Fahrradwerkstatt. Und fliegen kann er auch, gleitet samt Velo durch den Äther, sehr elegant, in slow motion.
Bei Robert Wilson und Philip Glass, den Erfindern von «Einstein on the Beach», dieser absurden, vier pausenlose Stunden währenden, noch 43 Jahre nach der Uraufführung wunderlich kurzweiligen Theaterrevue, tritt Albert Einstein gar nicht auf. Wenn überhaupt, mischt allenfalls der wilde Geist des Physik-Genies in den vier von sogenannten «Knee Plays» punktierten, nahtlos ineinanderfließenden Akten mit.
Überhaupt kokettierten Wilson und Glass gern mit der Botschaft, dass ihr Stück keine Botschaft habe. Zwar scheinen die Titel der Szenen – «Train», «Trial», «Bed», «Spaceship» usw. – bestimmte Orte und Themen aufzurufen. Doch die wenigen Texte, die zu minimal variierten, in sich kreisenden Tonschleifen rezitiert werden – Prosagedichte des Autisten Christopher Knowles, eine klischeetriefende Eloge auf ...
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Opernwelt November 2019
Rubrik: Im Focus, Seite 10
von Albrecht Thiemann
Wenn es eine innere Verwandtschaft zwischen Oper und Kino gibt, so beruht sie nicht zuletzt auf dem Hang zum Exzessiven, Monumentalen. Zu den frühen Großmeistern zeit- und raumsprengender Formate gehörten ja nicht nur Tonschöpfer wie Hector Berlioz (etwa mit «Les Troyens») oder Richard Wagner, sondern auch Filmpioniere wie David W. Griffith («Intolerance») oder...
Die Tonart verheißt nichts Gutes. As-Moll, das erinnert weniger an Frühsommerduft als vielmehr an Trübsal, Tristesse und Tragik. Eben die herrscht nun hörbar auch im karg möblierten Schlafzimmer des Kollegienassessors Kowaljow: Schluchzende Glissandi der Posaunen, Violinen, Oboen und Klarinetten dominieren dieses Adagio, ja selbst die Harfe seufzt, und das ist ja...
Da geistert eine Figur durchs Geschehen, die haben sie in den Proben den «Tod» genannt. Später heißt er Hippolyte. Er taucht bald hier auf, bald dort. Verschwindet wieder, ist nicht greifbar. Geheimnisvoll, gespenstisch wird er zur heimlichen Hauptperson, zum Stichwortgeber, zum Drahtzieher. Der Tod, das muss ein Wiener sein? Man spielt den «Rosenkavalier» von...
