Märchen in der Provinz

Der geografische Radius, in dem Joseph Haydn den größten Teil seines Lebens verbrachte, war klein. Die Entfernung zwischen Eisenstadt und Esterháza, den wichtigsten Orten seiner enormen Produk­tivität, beträgt kaum vierzig Kilometer. Auch sein Geburtstort Rohrau und Wien, wo er als alter und junger Mann wohnte, liegen nicht weit entfernt. Trotzdem: So wie Immanuel Kant nie über Königsberg hinauskam und dennoch ein abendländisches Ideenpano­rama im Kopf hatte, so wuchs Haydn in der Provinz zu einem musika­lischen Weltgeist seiner Zeit. Er nutzte den Frondienst beim Fürstenhaus Esterházy als Experimentierfeld in Sachen Streich­quartett, Symphonik, aber auch Oper. Thomas Rothkegel hat sich in Österreich und Ungarn auf Spurensuche begeben und eine faszinierende musikalische Topografie entdeckt.

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Von Wien nach Osten parallel zur Donau. Zunächst Schwe­chat: der Flughafen, die Raffinerien. Der Kern der alten Kaiserstadt atmet noch den alten Charme. Die Außenbezirke dagegen zeigen den Moloch, der Wien auch ist. Die Autobahn nach Bratislava, nach Budapest führt schnell heraus ins Länderdreieck zwischen Österreich, der Slowakischen Republik und Ungarn. Pannonien nennt sich die Gegend, im Norden und Osten begrenzt von der Donau, die bei Bratislava, dem alten Press­burg, nach Süden abbiegt. Im Wes­ten das Leithagebirge, eine sanfte Hügelkette.

Sie trennt das Wiener Becken vom Burgenland. Im Süden der Neusiedlersee. Die Landschaft ist mild und weich. Donauschwemmland. Wer die Landstraßen nimmt, fährt auf Alleen. Links ein Schlöss­chen, rechts Rebzeilen ohne Ende.
Pannonien – kaum eine Landschaft ist so eng mit einem Komponisten verbunden wie diese mit Franz Joseph Haydn. Er ist hier geboren und hat hier Jahrzehnte gelebt und gearbeitet. Im niederösterreichischen Dorf Rohrau kam er zur Welt, in Hainburg an der Donau verbrachte er seine ersten Schuljahre. Im heute burgenländischen Eisenstadt und im ungarischen Fertöd diente er als Kapellmeister der fürstlichen Familie Esterházy. In ...

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Opernwelt Dezember 2005
Rubrik: Thema, Seite 36
von Thomas Rothkegel

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