Im Sog der Assoziationen

Ein Mozart-Zyklus ist, neben Wagners «Ring», das beliebteste Mittel, ein Opernhaus neu zu profilieren. Amsterdam bietet dafür eine besonders glückliche Konstellation, auf die andere große Häuser neidisch blicken. Zum Regieteam Jossi Wieler/Sergio Morabito und der Bühnenbildnerin Anna Viebrock kommt Dirigent Adam Fischer. (Die späteren Premieren übernimmt Ingo Metzmacher.) Der Auftakt gelingt furios: Mozarts früher und viel gemiedener «Lucio Silla» wächst zu einer Neuentdeckung.

Opernwelt - Logo

Musikalisch ist es die berühmteste Szene aus «Lucio Silla»: Giunia steigt in die Katakomben hinab. Für dieses dritte Bild des ersten Aktes schrieb der 16-jährige Mozart eine Chromatik, die weit in die Zukunft vorausweist. Natürlich hört man das Vorbild Gluck. Doch selbst wenn man dessen «Alceste» mitdenkt, bleibt die Musik erstaunlich. Die dunkle Klangfärbung dieser Szene ist der Schlüssel zum ganzen Werk. Und auch dramaturgisch liegt hier der Dreh- und Angelpunkt.


In der Deutung von Jossi Wieler und Sergio Morabito trifft sich unter Tage eine Menschenmenge, die gegen das auto­ritäre Regime Lucio Sillas revoltieren will, sich aber noch nicht wirklich traut. Die grauen Anzüge der Männer und Frauen erinnern an die ehemalige DDR. Das gilt auch für den Raum, in dem sie sich bewegen. Anna Viebrocks Bühnenbild ist eine Kopie des Elbschlöss­­chens bei Dresden, das einst ein Stasi-Gefängnis war. Die hölzernen Wandverkleidungen, der Parkettboden, die leeren weißen Flächen – vieles lässt an die deutsche Vergangenheit denken.
Doch das ist nur ein Assoziationsstrang dieser grandiosen Aufführung. Wenn der Chor zu singen beginnt, rollt die Versammlung einen Teppich aus, und Giunia zeigt das Bild ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Opernwelt-Artikel online lesen
  • Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Opernwelt Januar 2005
Rubrik: Im Focus, Seite 14
von Willem Bruls

Vergriffen
Weitere Beiträge
Belcanto im Stadttheater

Lucrezia hat keine Chance: Blutschande mit Vater und Brüdern, der Gifttod, den ihre Hand so gern und oft gereicht haben soll – sie ist gerichtet von zahllosen Geschichtsschreibern. Und wenn auch aus Historikersicht wohl an all dem nichts dran ist, so lebt das Ungeheuer Lucrezia Borgia doch fort in unseren Köpfen, kolportiert auch von Victor Hugos Schauspiel und...

Wie willig waren die Komponisten der Nazi-Ära?

Mit seinen beiden Überblicksdarstellungen zur Sozialgeschichte des Jazz und der klassischen Musik im Dritten Reich hat der kanadische Sozialhistoriker Mi­chael H.Kater – zumindest in Deutschland – gewaltig Staub aufgewirbelt. Nun schließt er seine Beschäftigung mit acht Fallstudien über Komponisten der Nazi-Zeit ab. Dass es sich dabei nicht um «Komponisten im...

Augenzwinkernd

Das Orchester als Dialogpartner. Es wird zum wahrhaft verschmitzten Diskutanten. Schüttet Spott und Ironie über den Saiten aus, Schalk stiebt aus Flöten und Blech. Verdis «Falstaff» kann für ein Orchester im bes­ten Fall zur schmucken Visitenkarte geraten, aber auch, im schlimmsten Fall, zum kollektiven Offenbarungseid. Das London Symphony Orchestra hat sich im...