Gespenstisch subtil

Rodion Shchedrin gelang 1994 eine kongeniale Opernfassung von Vladimir Nabokovs Roman «Lolita». Das Nationaltheater in Prag sorgt für eine großartige Renaissance

Opernwelt - Logo

Was zunächst erstaunt bei dem heiklen Stoff: Sláva Daubnerová verweigert jede Aktualisierung oder ideologische Kontextualisierung. Doch die Zurückhaltung der slowakischen Regisseurin, Schauspielerin und Autorin bekommt Shchedrins «Lolita»-Oper ausgezeichnet. Das Stück bietet genug Deutung, nicht nur durch die subtile musikalische Textur, sondern auch dank des vom Komponisten erstellten Librettos, das als eigenständiger Kommentar über den Roman Vladimir Nabokovs hinausgeht.

Der Plot des Originals: Der Literaturwissenschaftler Humbert Humbert verliebt sich in die zwölfjährige Dolores Haze und lässt sich, um in der Nähe des Mädchens zu sein, auf eine Ehe mit deren Mutter Charlotte ein. Als die bei einem Autounfall umkommt, ist Humbert plötzlich alleiniger Erziehungsberechtigter, geht mit Lolita auf einen zweijährigen Roadtrip, vergewaltigt sie wiederholt, tötet den Nebenbuhler Quilty und stirbt schließlich im Gefängnis, bevor man ihm den Prozess machen kann. Shchedrin folgt weitgehend der Romanhandlung, moralisiert sie allerdings, indem er ans Ende das Todesurteil setzt. Die Ambivalenz der Geschichte, ihr Schwanken zwischen Fantasie und Wirklichkeit, die Rolle Lolitas, halb ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Opernwelt-Artikel online lesen
  • Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Opernwelt November 2019
Rubrik: Im Focus, Seite 22
von Volker Tarnow

Weitere Beiträge
Parcours der Höhepunkte

Wenn es eine innere Verwandtschaft zwischen Oper und Kino gibt, so beruht sie nicht zuletzt auf dem Hang zum Exzessiven, Monumentalen. Zu den frühen Großmeistern zeit- und raumsprengender Formate gehörten ja nicht nur Tonschöpfer wie Hector Berlioz (etwa mit «Les Troyens») oder Richard Wagner, sondern auch Filmpioniere wie David W. Griffith («Intolerance») oder...

Voll aufgegangen

Im schweizerischen Bergdorf, wo der Oldenburger «Ring» spielt, ist es Winter geworden. Die Weltesche, in der «Walküre» noch in vollem Laub, im «Siegfried» in milde Herbstfarben getaucht, ist gefällt und liegt als Brennholz für den Scheiterhaufen bereit, auf dem Walhall verglühen wird. So beginnt im Staatstheater die «Götterdämmerung». Zum ersten Mal in der...

Einfach Geschichten erzählen

Frau Röschmann, kürzlich haben Sie als Alceste debütiert. Was muss man bei Gluck anders machen? Eine andere Stimmeinstellung finden?
Für Gluck vielleicht nicht, aber für das Französisch. Ich habe noch nicht so viel in dieser Sprache gesungen. Insofern dauerte es doch eine Zeit, bis ich das gelernt hatte. Parallel zur Alceste habe ich die «Tannhäuser»-Elisabeth...