Freiheit, Gleichheit, Vatermord
Der Vorwurf, dass man in eine Dichtung etwas ‹hineingelegt› habe, wäre ihr stärkstes Lob. Denn nur in jene Dramen, deren Boden knapp unter ihrem Deckel liegt, lässt sich beim besten Willen nichts hineinlegen», schrieb Karl Kraus. Auch auf Mozarts «Idomeneo, rè di Creta» und die beiden Inszenierungen des Werks in Wien und Graz ließe sich dieses Zitat anwenden. Willy Deckers Wiener Konzept etwa mündet in ein Plädoyer für eine Utopie der Freiheit wie in «Fidelio»; Idamante mischt sich als Primus inter Pares in Alltagskleidung unters Volk.
Bei Lisa Stumpfögger und Herbert Kapplmüller im Grazer Opernhaus hingegen meuchelt der Sohn in Slevogt/d’Andrades weißem Don-Giovanni-Kostüm den als Komtur auf Quaglios Reiterstandbild sitzenden Vater und lässt sich anschließend von Arbace ein Mahl servieren wie der Don von Leporello: Hinweis auf das in «Idomeneo» zumindest musikalisch Vorweggenommene.
Zweifellos bot die Grazer Produktion das vielschichtigere, interessantere Konzept, doch stand die Wiener unter ungünstigen Sternen: Dirigent Seiji Ozawa und Regisseur Willy Decker waren zwei Wochen vor der Premiere erkrankt. Letzterer lenkte das Geschehen vom Spital aus über die Assistentin Karin ...
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