Farbenfroh, aber funkenlos
Zugegeben: Unterhaltungswert hat dieser forcierte Frohsinn schon auch. Die Römer als muntere queere Gesellschaft, die sich in Science-Fiction-Trash in Rosa, Rot und Orange suhlt und das Ballett als glamouröses LGBTQIA+-Musical aufführt; die Christen als bodypositive FKK-Sekte von Mutanten ohne Geschlechtsteile, denen dafür zusätzliche Gliedmaßen vom Rücken baumeln. Was dieses Setting jedoch jenseits der schrägen Show aussagen soll, bleibt nebulös.
Klischeehafte Kritik an schwuler Dekadenz und entsexualisiertem Christentum? Beim Jupiter, im Ernst? Auch die Kombination mit dem armenischen Genozid wirkt geradezu an Weltraummonstertentakeln herbeigezogen. Drei Zeitebenen vermischen sich nämlich in dieser an sich löblichen Produktion von Gaetano Donizettis «Les Martyrs»: Das Libretto dieser Grand Opéra spielt im Jahr 259, als der Heilige Polyeuktos von Melitene in der römischen Provinz Armenien seines Glaubens wegen enthauptet wurde. Regisseur Cezary Tomaszewski und Ausstatterin Alexandra Wasilkowska verquicken das jedoch mit dem Jahr 3389, einer fernen Zukunft also, in der, so ihre These, die Menschheit endlich via Belcanto kommuniziert, und zugleich mit 1915, der Zeit des Völkermordes ...
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Opernwelt November 2023
Rubrik: Panorama, Seite 56
von Walter Weidringer
Mit der «Frau ohne Schatten» lieferte Strauss seine reichhaltigste Partitur ab. Charakteristisch sind vor allem das hypnotische Klarinetten-Schneiden des Falken und das abfallende Dreiton-Leitmotiv Keikobads – fast schon explizit textgewordenes Menetekel zu einer Handlung voller (Mit-)Leid: Die Tochter des Geisterkönigs wirft keinen Schatten, sprich, sie kann keine...
Zwei Frauen. Wenig scheint sie zu einen, zu grundverschieden sind ihr Charakter, ihre soziale Stellung auf den ersten Blick. Hier die stolze trojanische Königstochter, Schwester (unter anderem) des Helden Hektor und des Schönlings Paris, welcher Apollon die seltene Gabe der Weissagung schenkte, sie aber, nachdem Kassandra sein erotisches Begehren brüsk abgewiesen...
Es nützt nichts, wir müssen über den Fall Kent Nagano sprechen. Der US-Amerikaner mit japanischen Wurzeln hat hauptsächlich im Europa eine respektvoll aufgenommene Karriere absolviert, deren Rang und Prominenz gemessen an der künstle -rischen Ausbeute doch einige Rätsel aufgibt. Die Premiere von Modest Mussorgskys «Boris Godunow» an der Hamburgischen Staatsoper in...